Otto Pankok

Otto Pankok . . .
zu seinem 70 Geburtstag – von Erich Bockemühl

Heimatkalender  Landkreis Rees im Jahre 1964

Daß der Kunstmaler, Graphiker und Plastiker, Professor i. R. der Düsseldorfer Kunstakademie Otto Pankok, mit seiner Gattin und Tochter seit mehreren Jahren im „Haus Esselt“, unweit Wesels am Isselflüßchen friedsam zurückgezogen, immerfort schaffend, wohnt, kann den Lesern des Heimatkalenders nicht verborgen geblieben sein, auch nicht, daß es ihm vergönnt war, am 6. Juni des  vergangenen Jahres seinen 70. Geburtstag zu  erleben. So viele Besucher an einem Tag hat  das alte Jagdschlößchen in seinen felsenstarken Mauern noch nie zu bergen brauchen. Diese Tatsache mag schon allein als ein Zeichen großer Beliebtheit gelten. Nicht weniger aber oder noch mehr erwies sich die mit edler kongenial interpretierter Musik umrahmte, von der Vaterstadt Mülheim veranstaltete Feierstunde, verbunden mit einer ausgezeichnet arrangierten Ausstellung im Festsaal der Stadthalle am 30. Juni als eine Dokumentation dafür, daß sich des Meisters in den vergangenen Jahrzehnten vielfach umstrittenes Werk nicht nur bis zu  seiner Anerkennung,  sondern  schlechthin zur Verehrung durchgerungen hat, und zwar  ohne  managerhafte  Propaganda,  sondern lediglich dadurch, daß es da ist, geworden aus der Genialität einer seltenen künstlerischen Berufenheit, verbunden mit dem ursprunghaft menschtümlichen Wesen seines Gestalters.

1933/34 wurde das als Buch erschienene Werk der 60 großen Kohlegemälde „Die Passion“ auf Anordnung der damaligen Machthaber eingestampft, die 1936 mehrere Lastkraftwagen mit Bildern und ebenso hochwertigen Plastiken abschleppen und vernichten ließen. Es wurde in den Jahren nach dem Krieg durch den Rundfunk bekannt, daß Pankok im Einverständnis mit Frau und Tochter Juden verborgen gehalten und gerettet hat. Eigene Lebensgefahr, eigene Mitleidsnot hatten ihn nicht gehindert, an seinem Werk zu schaffen, vielmehr war es die Not seiner Seele, aus der die große Verkündigung der „Passion“ wie auch das „Zi-geuner“-Buch, auch das Holzschnittwerk von den „Räubern des Liang Schan Moor“ hervorgegangen sind.

Ist nicht aber jede wahrhaft große Kunst (Rembrandt, Beethoven, Hölderlin) aus dem Leid hervorgegangen, der Problematik des widerspruchsvollen Lebens, jener allverbindenden Liebe zutiefst religiöser Wesenheit, jenem „Dennoch“ der in sich gesicherten Persönlichkeit, die unter dem Zwang des höheren Auftrags den Ausgleich fand und findet?! Schon in dem 1930 erschienenen Buch mit 150 Reproduktionen, „Stern und Blume“, hat der sich selbst bekennende Autor instinktsicher vorausgesagt, was sich mit ihm und um ihn ereignen konnte, und seine „Zehn Gebote für den Künstler“ haben sich in dreißig Jahren mehr und mehr bestätigt.

„Es hat eine Zeit gegeben“, so schreibt er, die „Passion“ einleitend, „in der die Menschen herablassend und mitleidig über das Wort Albrecht Dürers lächelten: Kunst ist die Darstellung des Lebens und Sterbens unserer Herrn Jesus Christus . . . jenes Christus allerdings, der Idee, Wesenheit, Prinzip und Aufgabe ist in der Art, wie er (Joh. 8. 58) sagt: ,Ehe denn Abraham ward, bin ich‘, nämlich vor allem Anfang und über alle überschaubare Zeit hinaus die einzig das Leben dieser Welt erhaltende Liebe.“

In dieser Hinsicht ist das Wesen Pankoks auch in seinem gesamten Werk unendlich geweitet in einem sozialen Sinn, der der Armut, dem Elend, der Not zugestimmt ist und in welchem sich seine charaktuell und sicher gezeichnete Persönlichkeit bestätigt. Wer aber dem Leben vorbehaltlos zugeneigt und ergeben ist, der vermag auch zu lachen und gelegentlich seines Geburtstags zu schreiben: „. . . übrigens ist 70 eine fatale Zahl. Ich komme mir als mein eigener Großvater vor, wenn ich schreibe. Man hat sich das gar nicht so richtig ausgemalt, wie das ist. Ob man sich daran gewöhnt? Ich glaube nicht. Die Sache bleibt mies.“ Wer so zu schreiben vermag, der wird weiter schaffen, und vor allem auch hat er den Humor, der sich auch in seinen Gestaltungen vielfach zeigt, der aber das voraussetzt, was wir unter„Persönlichkeit“ verstehen wollen. Humor auch aus Resignation? Und wenn schon — aber Humor aus Güte zum anderen und zu sich selbst.

Otto Pankok war in vielen Landen, in denen sich sein schöpferisches Wesen beheimatet gefühlt hat. Saarn war noch ein Dorf, als dem Sohn des Arztes, der sein Vater war, das Leid der Menschen schon früh entgegentrat. Der alte Museumsdirektor i. R. Dr. Werner Kruse hat in Mülheim am 30. Juni ein ergreifendes Bekenntnis zu Pankok ausgesprochen. Er konnte es, weil er dem aufstrebenden jungen Menschen schon früh zugetan war und 1933 den Mut hatte, die 60 Bilder der „Passion“ auszustellen, und „nicht nur das Museum, sondern“, wie es in dem vornehm ausgestatteten Programmheft heißt, „auch durch zahlreiche Bürger wurde seine Kunst fest im Bewußtsein der Stadt verankert.“ Worte, die in unsern Tagen selten und um so mehr zu beachten sind. Pankok hat in den Jahren und Jahrzehnten in Norddeutschland, Sardinien, Capri, Catalonien, Oberyssel, im Rhonedelta, Spanien, Jugoslawien gewohnt und gewirkt und zwischendurch zweimal in Drevenack, in den Jahren 1926 und 1927, von wo aus er auch sein jetziges Domizil kennenlernte.

Aus dem gesamten Werk tritt neben dem Menschen auch die Natur und mit ihr die Landschaft integrierend, unerläßlich notwendig hervor. Gewiß verwandelt sich ihr Bild in die innere Anschauung, und wer das in dieser Arbeit bereits Gesagte in Erwägung zieht, wird es verstehen,  wenn   man  nachdrücklich  darauf  hinweist,  daß  in  den  Naturdarstellungen  der Mensch, auch wenn er körperhaft nicht zugegegen, aber als der in der Intuition „Andere“ im Unterbewußtsein mitvorhanden ist. Zudem wird die äußere Natur durch das Interesse jedes besinnlich Betrachtenden erst belebt. Es ist die unerklärlich formwirkende Kraft der Seele, in der sich jene Harmonie vollendet, die das organisch hervorgegangene Kunstwerk darstellt. Es beruht auf der Weite der Seele des in sich Schauenden, daß das naturhaft Einmalige nur die Veranlassung zu dem ist, was sich visionär zum Übersinnlich-Allgemeinen steigert. Einem Künstler und Menschen wie Otto Pankok muß man schon das Vertrauen entgegenbringen, daß das, was er darstellt, nicht einer Willkür unterliegt, sondern daß es aus tieferen Gründen unbedingt wahr ist, eine nicht wegzuleugnende Wirklichkeit. Und wer nicht gleich mit einem Bild sympathisieren kann, der soll die Ursache nicht im Künstler, sondern in sich selber suchen. Ein Werk der Kunst kann und darf auch nur an sich selbst gemessen werden, und nicht etwa an der Natur, man kann es allenfalls als eine andere oder höhere Natur anerkennen, aber es ist durch das Erleben des Menschen gegangen, der sich in seiner seelischen Struktur nicht selbst geschaffen hat und schließlich doch darum auch unter einem göttlichen Auftrag steht. Die Ehrfurcht ist es, die heute vielfach fehlt, und begreiflicherweise in einer Zeit, in der es Leute gibt, die glauben machen wollen, daß ein Werk der Kunst nichts anderes sei als die Anwendung einer Geschicklichkeit.

Es ist zudem auch ein erfolgloses Beginnen, Pankoks Bilder interpretieren zu wollen. Wer es nicht fühlt, erjagt es nicht, nicht wer die Demut hat, sich einem Werk hinzugeben, der muß für ihn selbst bedauerlicherweise abseits stehen. Das Bild im Dunkel des Friedhofs wie auch das des bäuerlichen Leichenzuges unter der kosmischen Gewalt der aus den Wolken hervorstrahlenden Sonne stammen aus der Drevenacker Zeit, wie auch wohl jenes, in dem ein Mensch, seinen Tieren den Rücken kehrend, einsam vor dem Rätsel der Unendlichkeit steht. Überwältigend ist in solch großen grau-weiß-schwarz getönten Kohlegemälden die Einbezo-genheit ins Kosmische, die Wirklichkeit wiederum des Kreatürlichen, wie eben erst aus der Schöpfung hervorgegangen, und nicht minder jene versinnbildlichte Realistik eines Bauern mit dem sich aufbäumenden Pferd. Es darf wohl gesagt werden, daß unter den zahlreichen Malern, die seit der Jahrhundertwende in Drevenack tätig waren, Pankok derjenige ist, der auch die vielfach verborgene Dämonie dieser „alten Landschaft“, wie sie sich ehedem noch mehr als heute darbot, erfaßte.

„Er lebte mit uns in unserer kalten Stadt“ ist ein Wort, das, wie auf Dostojewskij, auch auf Pankok anzuwenden wäre. Es ist auf engem Raum nicht möglich, das gesamte Werk in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, seiner Fülle, episch-dramatischen Macht und wiederum vielfach lyrischen Schönheit auch nur anzudeuten. Im Frühjahr wird ein umfassendes Buch erscheinen, das mit 96 Seiten Text und 132 Kunstdrucktafeln „Das Werk des Malers, Holzschneiders und Bildhauers“ kennzeichnen wird, des Mannes, den einer, der es zu verantworten wußte, den „Rembrandt unseres Jahrhunderts“ nannte.

 

 

Es gibt zur Zeit keinen Künstler, der so tief in die menschtümliche Problematik unseres Lebens überhaupt hinabgestiegen und zugleich ein Künstler solcher Kraftentfaltung und Begnadigung ist wie Otto Pankok im „Haus Esselt“ im Kreise Rees.

Frei glauben die Menschen zu sein, wenn sie ihren Gelüsten gehorchen dürfen.

                                                                                                  E. v. Feuchtersieben

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August Oppenberg


Biographie des Malers August Oppenberg

 

1896
Am 7. Januar in Bochum geboren, wo der aus Wesel stammende Vater — die Mutter war gebürtig aus Drevenack — vorübergehend als Bahnbeamter tätig war. .

1905
Rückkehr der Familie nach Wesel. Der Vater wird hier Bahnhofsvorsteher.
Nach Abschluß der Realschule mit dem „Einjährigen“ geht Oppenberg in den Verwaltungsdienst der Stadt Wesel.
1915-1918
Militärdienst als Artillerist.
1918-1924
Verwaltungsdienst in Obrighoven und Studium an der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf
1924
Beginn der freischaffenden künstlerischen Tätigkeit.
Beim Malen in Drevenack Begegnung mit dem Dichter Erich Bockemühl, mit dem ihn dann lebenslange Freundschaft verbindet. Zu Büchern und Schriften Bockemühl’s schuf Oppenberg zahlreiche Illustrationen.
1926
Erste Ausstellungsteilnahme, „Große Westfälische Kunstausstellung“ in Dortmund.
1927
Erste Einzelausstellung mit einer Auswahl von Zeichnungen im Städt. Museum Mülheim-Ruhr.
1928
Ausstellung im Vestischen Museum Recklinghausen. Beteiligung an der Ausstellung „Das junge Rheinland“ in der Kunsthalle Düsseldorf.
1929 Erste Ausstellung in der Geburtsstadt Bochum, in der Städt. Galerie, Ausstellung des Zyklus „Ernte“ im Stadt. Museum
Mülheim-Ruhr, Teilnahme an der Ausstellung der „Rheinischen Sezession“ in Berlin, erste Ausstellung in der Heimatstadt Wesel mit 100 Arbeiten.
Ab 1930
Zahllose Einzel- und Gruppenausstellungen im Rheinland und in Westfalen sowie in Frankfurt, Wiesbaden, München, Gera, Dresden, Oldenburg, Hannover, Hamburg, Berlin, Stettin, Danzig, Amsterdam, Nijmwegen, Brüssel, Paris, Lille, Florenz und Wien.
1934
Mitbegründer der Vereinigung Niederrheinischer Künstler und Kunstfreunde.
1945
Aus dem völlig zerstörten Wesel geht Oppenberg wieder einmal nach Drevenack, wo er in seinen späteren Jahren beim Ehepaar Dr. Sonsmann großzügige Gastfreundschaft genießt, und mit dem er seit 1955 Auslandsreisen nach Italien, in die Provence und nach Norwegen unternimmt.
1961
Ausstellung der Stadt Wesel aus Anlaß des 65. Geburtstags.
1967
Ausstellung der Stadt Wesel zum 70. Geburtstag.

1971 Am 16. August in Wesel gestorben.

 

 

 

August Oppenberg . . .
dem niederrheinischen Maler zum 60. Geburtstag
Erich Bockemühl                                                                                  Heimatkalender 1956

August Oppenberg wurde am 7. Jan. 1896 in Bochum geboren. Die Familie der op dem Berge war und ist am Niederrhein und in Westfalen verbreitet und ein zum Künstlertum weisender Sinn findet sich bei manchem ihrer Mitglieder, wie denn der Vater und die Fusternberger Oppenbergs überhaupt auf Grund ihrer Liebe zu Gesang und Musik und ihrer Betätigung als Dirigenten oder Gesangvereinsleiter bekannt waren. Fusternberg liegt unmittelbar bei Wesel, gehört zur Stadt und hat doch, nicht zuletzt auch auf Grund seiner Gemüsefelder, seinen dörflich-bäuerlichen Charakter noch nicht eingebüßt. August Oppenbergs Großmutter war eine Drevenacker Bauerntochter, und Drevenack, zwei Stunden östlich Wesels, hat in Heide und Wald und in Höfen und Katen, die den breiten Straßen entfernter liegen, noch ein gut Teil seiner alten Bauernkultur niederrheinisch-westfälischen oder westfälisch-rheinischen Wesens behalten.
Es ist wesentlich, dies in Bezug auf Oppenberg hervorzuheben. Seine Eltern sind aus dem Industriegebiet nicht lange nach seiner Geburt in die Fusternberger Heimat zurückgekommen, der Sohn August hat das Gymnasium besucht und später auch die Düsseldorfer Kunstakademie, der er zwar nach einiger Zeit ohne abgestempelten und auch sonst wesentlich wahrnehmbaren Erfolg den Rücken kehrte. Mit dem Zeichenlehrer war es zum guten Glück nichts geworden, zumal August in dem Beruf auf Grund seiner Veranlagung niemals geblieben wäre. Auch die Arbeit in der kommunalen Verwaltung ertrug er nicht. Seine Eltern waren zudem einsichtig gute Menschen, so daß er eines Tages äußerlich und innerlich befreit mit seiner Staffelei hierhin oder dorthin, woher der Wind des Lebens und des Schicksals gerade wehte, auf der Fahrt war und in Obrighoven oder am Rhein mit der Sicht über den Xantener Dom hinaus oder, und schon bald vorzugsweise, in Drevenack vor Bäumen und Weidengesträuch oder arbeitenden Bauern und Bäuerinnen oder ihren Tieren saß und seine Bilder, einmal in dieser und ein andermal in jener Form und Technik, zeichnete und malte.
August Oppenberg hat in seiner Kunst im Lauf der Jahre wesentlich Erfolg gehabt und große Anerkennung gefunden. In den zahlreichen Ausstellungsbesprechungen des rheinischen und westfälischen Landes mitsamt dem weitgedehnten Industriegebiet und darüber hinaus bestätigt sich diese Tatsache. Wenn man schon einmal den Eindruck haben konnte, als ahme er, der in seinen frühen Zeiten lernend von van Gogh und Pankok beeinflußt, niemals aber in Abhängigkeit geraten war, sich selber nach, so beruht diese Feststellung auf einer durchaus irrigen Beobachtung. Jeder Künstler, der es ernst meint mit seinem Werk, muß seine unproduktiven Zeiten haben, in denen ihm seine Kunst erneut zum Problem werden muß. Auch die sogenannte „Technik“ ist nur scheinbar eine äußere, in Wirklichkeit eine differenziert menschtümliche Angelegenheit des Erlebens. Wer freien und nicht einen von der Mode getrübten Blick hat, erkennt die fortschreitende Entwicklung, den organischen Vollzug im wachsenden Lebenswerk unseres Malers und Zeichners, der in seiner Grundstruktur ein Mensch einfacher Seele bäuerlichen Wesens geblieben ist nach dem „Gesetz, mit dem er angetreten“ ist. Es geht — im Sinne Oppenbergs gesagt — in der Kunst (wie Überall) nicht nach dem, was, meist von rezeptiven Menschen, über sie geredet, sondern was in und mit ihr getan worden ist. In dieser Existenzialität kam Oppenberg früh nach Drevenack, wo einst um die Jahrhundertwende die Dückerschule von Düsseldorf aus in unauffallenden Motiven ihr Schauen und Können erproben konnte, und wo er dann auch geblieben ist, dreißig Jahre hindurch bis auf den heutigen Tag.
Man hat Oppenberg den „Bauernmaler“ genannt und gewiß nicht ohne Berechtigung. Die bäuerliche Arbeit, die Mensch und Tier einbeschließt, wurde ihm geradezu instinktiv zu immer neuer Thematik. Er wurde der Maler bäuerlicher Arbeit, aber in einer Weise, in der das Tun der Menschen vornehmlich linienhaft, wie bei manchen niederländischen Malern vergangener Zeiten, mit der Landschaft in seltener Prägung und durchaus persönlich objektiv zur Einheit wurde. Die gesamte bäuerliche Arbeit hat der Zeichner und Maler erfaßt, das Roggensäen und -ernten, Unkrautjäten und Kartoffelhacken, heuwendende Mädchen und pflügende wie mähende Männer und in einer Realistik, die symbolisch und in besten Stücken sogar mythisch wirkt. Ich schrieb vor dreißig Jahren in Bezug auf ihn ein vielfach von anderen bestätigtes Wort von der „Primitivität der Linie“. Kunst — wahre Kunst — bedeutet, mit einfachsten Mitteln den höchstmöglichen Eindruck zu erzielen.
Man nennt Oppenberg den „Maler des Niederrheins“ und den der Heidelandschaft. Das ist, vom Motivischen aus gesehen, richtig, zumal es sich in Hunderten von Werken bestätigt. Aber die Wolken über dem Strom und seinen Schiffen fahren spürbar in unendliche Fernen. Das Garbenfeld, über dem in zartester Linienharmonie das Sonnenlicht eingefangen ist, hat im äußerlich Bildhaften wohl sein Ende und ist ein Stück Natur, aus der Natur herausgerissen, wie Dürer sagt, aber es ist unter dem Gesetz der Kunst in der Natur verblieben, indem es zugleich die Landschaft versinnbildlicht und mit ihr die Natur in ihrer Ganzheit. Methaphysische Landschaft schließt das Endelose ein, und aus methaphysischem Schauen sind Oppenbergs beste Bilder hervorgegangen. Das gilt für die Feder- und Pastellmalereien, das gilt aber auch für die Ölgemälde vornehmlich der letzten Jahre, wie auch für die zarten Aquarelle, in denen ihm die Abtönung der einen Farbe kontinuierlich zur anderen färbe mit dem Ergebnis farbiger Harmonien in fortschreitendem Maße gelungen ist. Auf Grund dieser Verhältnisse haben seine Arbeiten in ihrer formalen Vollendung überheimatliche Bedeutung erlangt.
Mag in des Malers Zeichnungen und Pastellbildern der Landschaft seine größte Stärke zum Ausdruck gelangen: seine Tiermalereien sind nicht weniger individuell geprägt, und seine Porträts sind in Wesen und Form wiederum innerlich mit der Landschaft bäuerlicher Natur verbunden.
Was ich vor zwanzig Jahren in Bezug auf August Oppenberg schrieb, kann ich, den Aufsatz zu seinem 60. Geburtstag beschließend, wiederholen: „So gewiß der Maler noch Aufgaben vor sich hat, die er sieht, die er liebt, zu denen er alle Tage neue Freudigkeit hat — so gewiß ist in dem, was vollendet vorliegt, eine Erfülltheit zu erkennen, ein reiches, beachtenswertes und durch seine erdkräftige Wirkung bedeutsames und dazu in vielfacher Schönheit beglückendes Gut.“

 

August Oppenberg . . .
dem niederrheinischen Maler zum 70. Geburtstag!

von Erich Bockemühl                                                                                      Heimatkalender 1968

Vor rund 30 Jahren erschien im Verlag Carl Kühler in Wesel ein Buch mit 35 ganzseitigen Fotografien von Bildern des Kunstmalers August Oppenberg, mit 10 Seiten einführendem Text. 31 Jahre später wurde mir von demselben Maler ein Album geschenkt, das mit der Bestätigung einer 40 Jahre bestandenen Freundschaft mit 60 Reproduktionen einer Auswahl aus dem umfassenden Lebenswerk dieser Jahrzehnte enthielt. Ich mache weder den Anspruch eines Propheten noch eines geschulten Kunstkritikers, aber was ich voraussagend seinerzeit niedergeschrieben habe, fand ich glückhaft bestätigt, zumal ich das gesamte Schaffen August Oppenbergs mit Interesse habe begleiten können. Habe ich als Freund des Malers das Recht, über ihn zu schreiben? Der Dichter Otto Brües schrieb einmal bei einer ähnlichen Gelegenheit: „Wenn alte Spießgesellen . . ., die seit Jahrzehnten an der Arbeit sind, füreinander eintreten, heißt das nicht unbedingt, daß wir pro domo reden — Erfahrung und Weisheit sind auch etwas, und sie gestatten eine Unbefangenheit, die die Jugend nicht immer hat . . .“ Es ist ja nicht mein Verdienst, daß ich vor 30 Jahren jene Seiten schreiben konnte, sondern ich schrieb aus dem überzeugenden Eindruck, den mir das damalige, noch junge Werk des Malers und Menschen August Oppenberg entgegengebracht hatte, seine intuitiv in der Persönlichkeit gesicherte Art der Komposition wie der ihm vorgegebenen Ausdrucksmöglichkeiten mit der Zeichenfeder, der Kohle, vornehmlich in der Linienharmonie, auch der Farbe, mit öl, Tempera, immer mit der im Einzelhaften gelungenen ErfüIItheit, in der Weise, daß auch nicht einmal eine leere Stelle bleiben konnte, die hernach aus Verlegenheit hätte ausgefüllt werden müssen. Und eben dies war für mich bestimmend, nämlich die jedesmalige Vollendung des inneren, vor der äußeren Natur geschauten Bildes, die Ganzheit eben eines künstlerischen Ergebnisses. Oppenberg hat ausgewählt, was er aus seinem Schaffen eines halben Jahrhunderts als bleibend anerkennt. Es mag schon hier gesagt sein, daß man ihn lediglich als einen Maler der Landschaft ansehen wollte, dem gegenüber die Tatsache besteht, daß unter rund 3000 Bildern nur wenige 100 vorliegen, in denen nicht der Mensch, und vorzugsweise der bäuerliche, im Mittelpunkt steht.
Steht nicht auch hinter jedem lyrischen Gedicht auch der Mensch mit seinem Erlebnis? Und auch im bloßen Landschaftsbild des Malers ist ausschlaggebend, daß der Betrachter erleben kann, wie der Künstler die Landschaft sah, indem auch der Betrachter zu schöpferischem Mitgestalten angeregt wird. Er wird dem künstlerischen Werk gegenüber als Zweitschaffen der ein Nachgestalter des Geschauten in sich selbst, worin ja überhaupt die Wirkung der Kunst beruht.
Auch dem schaffenden Künstler sind dem, was ihm zu gestalten vorgegeben ist, Grenzen gesetzt, denn alle Kunst ist im Einzelhaften individuiert. Hölderlin sagte einmal: „. . . das meiste nämlich vermag die Geburt“, und Goethe spricht in seinen „Urworten“ von dem Gesetz, wonach du angetreten bist: „Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“ Und das bezieht sich nicht nur auf den Künstler, sondern in gewissem Grade auf jeden Menschen. Wenn ich mein Oppenberg-Album von 1965 in Betracht ziehe, dann erkenne ich nach 30 Jahren in den Bildern die Entwicklung und wie sich die „geprägte Form“ vielseitig ausgewiesen hat. Indem der Maler sich im Innersten seines Wesens treu geblieben ist, haben sich die Möglichkeiten bedeutsam erweitert, das Wesen ist vertieft und individuell deutlicher geworden. Das im einzelnen darzulegen, würde der Raum nicht ausreichen, zumal dazu auch die Bilder selbst zugegen sein müßten.

Auf dem Wachtenbrink von August Oppenberg

 

Als ich August Oppenberg vor mehr als 40 Jahren vor seiner Staffelei auf dem alten Drevenacker Dorfschulhof kennenlernte, war er der Kunstgewerbeschule bereits entlaufen. Er verdankte es seinen Eltern, daß sie seinem Entschluß, sich mutig für sein Leben auf seine künstlerische Begabung zu berufen, Verständnis entgegenbrachten. Vielleicht ist sein Interesse für die Drevenacker Landschaft und die bäuerliche Arbeit auf die aus einer Drevenacker Bauernfamilie stammende Mutter zurückzuführen. Dem musikalisch veranlagten Vater verdankt er wohl die Frohnatur und „die Lust zu fabulieren“. Wenn „August“, wie er in der Drevenacker Bevölkerung genannt wird, mit der Staffelei unter dem Arm auf die Heuweiden oder den Kartoffel- oder Rüben- oder den gemähten Roggenacker zog oder auch in die Gegend der Wacholderheide der Loosenberge, und wenn er vor der Staffelei auf die innere Anschauung des werdenden Bildes wartete, dann war sein Tun allemal von einem summenden Singen begleitet, das auch für sein gesamtes Wesen als charakteristisch anzusehen ist — auch heute noch, denn er hat eine heitere Natur. Er ist ein allzeit gütiger Mensch, in allem anspruchslos und in seinem äußeren Gehaben wie ein Bauer, wozu zu sagen ist, daß der Bauer keineswegs ein „ungebildeter“ Heimatgenosse ist. Erst in späteren Jahren hat er seinen Gesichtskreis geweitet, indem er in die französische Provence, nach Italien und nach Norwegen gereist ist.

Blick vom Wachtenbrink von August Oppenberg

 

Wie viele ernstzunehmende Maler seiner Zeit war auch Oppenberg von van Gogh angeregt, was sich bei ihm aber sogar bis in manche Holzschnitte eigenpersönlich schöpferisch auswirkte. Vielleicht war es das Erlebnis des sonnigen französischen Südens, das ihn in den letztvergangenen Jahren erneut vorzugsweise zur Ölmalerei veranlaßt hat mit dem Ergebnis stark beeindruckender leuchtender Farbensymphonien. Es ist nicht so, als habe er in der Darstellung der bäuerlichen Arbeit sein Genüge gefunden. Seine Tierbilder und Menschenporträts sind beachtenswert, und wenn er der Einfachheit und Verschwiegenheit der Heideformationen zugetan war, dann vermochte er wiederum das flimmernde Sommerlicht in seine Zeichnungen einzufangen und die Striche zur Höhe hin immer feiner werden zu lassen, um damit über den Horizont hinaus die Unendlichkeit der Landschaft zu symbolisieren. Nicht vergessen seien seine Bilder vom strömenden Rhein mit seinen breiten Kähnen unter der Gewalt sich dunkel ballender Gewitterwolken, und es ist berechtigt, ihn als Maler des Niederrheins in bevorzugter Weise anzuerkennen. Seine Arbeiten sind weithin über den Niederrhein hinaus bekannt geworden. An zahlreichen Ausstellungen hat er sich erfolgreich beteiligt, und es darf ihm wesentlich sein, daß man seine Bilder nicht nur in besonders kunstinteressierten Familien, sondern auch in Bauernstuben finden kann. Daß er die abstrakte Kunst ablehnt, braucht unter der Vergegenwärtigung seiner engen Naturverbundenheit nicht zu wundern. Jedweden Richtungen und allen „Ismen“ hat er zeitlebens ferngestanden, und das tendenziöse „Machwerk“ hat er in einer Bildreihe satirisch verspottet. Dagegen aber haben ihn Anfang der 20er Jahre die unbeeinflußt eigenartigen Malereien der Drevenacker Dorfschulkinder so interessiert, daß er einen Teil aus eigener Initiative in einem Weseler Schaufenster ausgestellt hat. In der nationalsozialistischen Zeit hat er, was ihm nicht vergessen werden soll, den Mut gehabt, in Weseler Ausstellungen Werke „verbotener“ Maler wie Pudlich und Rohlfs zur Geltung zu bringen.
Er ist trotz seiner siebzig Jahre jung geblieben, obwohl das schneeweiße Haar auf seinem Junggesellenkopf allmählich etwas schütterer geworden ist. Draußen in der Natur oder auch in seiner Fusternberger Dachstubenwerkstatt (dem Begriff „Atelier“ geht er bewußt aus dem Wege) schafft er ungehindert weiter. „Wenn ich nicht mehr malen kann, dann hat das Leben für mich keinen Sinn mehr.“ Nun — mag ihm das Leben noch für lange Zeit einen Sinn behalten, das mag man für ihn selbst wie auch im Interesse seiner ihm zugetanen Freunde und Bekannten von Herzen wünschen. Menschen- und Künstlertum sind in ihm eines, und damit ist viel gesagt.

 

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Erich Bockemühl


Erich Bockemühl (1885 – 1968)

 

Versuch einer objektiven Würdigung
(aber kann ein Enkel gegenüber seinem Großvater wirklich objektiv sein?)

Erich Bockemühl war zunächst einmal ein überaus engagierter Volksschullehrer – im besten wohlverstandenen Sinne des Wortes -, der es wie kaum ein Zweiter verstand, seine Schüler den Unterrichtsstoff „erleben“ und „begreifen“ zu lassen.

Beeinflusst von der am Kind ausgerichteten Pädagogik des Heinrich Pestalozzi stand er der deutschen Reformschulbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts nahe. In seinen zahlreichen Aufsätzen, Briefwechseln, Eingaben an die Schulbehörden etc. bekämpfte er den überkommenen Ansatz Herbarts der „Paukschule“ – man verzeihe mir diese herabwürdigende Simplifizierung – und wusste sich darin mit den Reformschulpädagogen Montessori, Kerschensteiner (Arbeitsschule), Kurt Hahn (Arbeitsschule Schloss Salem als Internatsschule für die „Elite“), Rudolf Steiner (Waldorf-Schule) usw. einig. Er meldete sich aber auch immer dann vehement-kritisch zu Wort, wenn – für kindliche Entwicklungsstufen richtige und von Bockemühl selbst erfolgreich praktizierte – Unterrichtsmethoden zu absoluten und „allein selig machenden“ Prinzipen für das gesamte Schulsystem erhoben wurden. Selbst derjenigen Volksschullehrer-Generation angehörend, die ihr berufliches Rüstzeug weitaus überwiegend durch einen erfahrenen Lehrer in der konkreten Unterrichtssituation vermittelt bekam, war er hochgeachteter „Schulmeister“ für zahlreiche Junglehrer. Hier stand er in der Tradition seines Großvaters Robert B. und seines Vaters Otto B., letzterer war auch als Autor von Schulbüchern für die Preußische Rheinprovinz hervorgetreten. Dass Erich Bockemühl – insbesondere in Anbetracht seiner schriftstellerischen Begabung – auch Schulbücher bearbeitet und für sie zahlreiche Beiträge verfasst hat (u.a. „Die gute Saat“, G. Westermann Verlag), versteht sich beinahe von selbst.

Bedeutsamer als Bockemühls pädagogisches Wirken ist wohl für die heutige Zeit sein vielfältiges dichterisch-schriftstellerisches Schaffen. Er stand als junger Mann anfangs des 20. Jahrhunderts dem Dichterkreis Charon um Otto zur Linde, Rudolf Paulsen, Karl Röttger, et.al. nahe, der sich der Erneuerung der deutschen Sprache verschrieben hatte. Im Charon-Verlag sind folgerichtig auch seine ersten Gedichtbände „So still in mir“ und „Worte mit Gott“ erschienen, allerdings in einer heute nicht mehr so recht zugänglichen Sprache. Bockemühl war tief verwurzelt in seiner niederrheinischen Heimat, geprägt zum einen durch ihre unendliche Weite und – um seinen Lebensmittelpunkt Drevenack bei Wesel herum – die herbe Kargheit ihrer Heidelandschaft, zum anderen durch die abwechslungsreiche Vielfalt von Hügeln, Tälern und Flüssen des Bergischen Landes, wo er geboren wurde (Bickenbach bei Gummersbach) und aufwuchs (Kettwig an der Ruhr, zwischen Düsseldorf und Essen). Diese seine Heimat hat auch seine Lyrik voller zeitlos-beeindruckender Aussagen in stilistisch-sprachlicher Einzigartigkeit geprägt, die ihm nicht zu Unrecht das Prädikat des „Heimatdichters vom Niederrhein“ eingetragen hat. Bockemühl hat diesen Titel immer als Auszeichnung begriffen. Leider wird heute oft der soziale, gesellschaftliche und kulturelle Wert und Begriff Heimat bestenfalls belächelt und als seicht und sentimental abgetan, was dazu geführt hat, dass sein Werk in den letzten Jahrzehnten kaum noch zu verlegen war. Lediglich das „Niederrheinische Sagenbuch“ wird immer noch nachgefragt und ist in seiner dritten Auflage aktuell erhältlich.
Gerade diese ausgeprägte Doppelbegabung des Pädagogen und Schriftstellers ließen Bockemühl eine Fülle von Aufsätzen, Erzählungen, szenischen Spielstücken und Kurzbiografien bedeutender geschichtlicher Persönlichkeiten schreiben, in denen er sich gezielt an den für ihn besonders wichtigen Leserkreis der Kinder und Jugendlichen wandte. In einer ihnen zugänglichen und dennoch „literarischen“ Sprache weckte er Verständnis und Wissensdurst für Natur, Kultur und Geschichte von Heimat und Vaterland, an deren echten Werten Bockemühl trotz aller politischen Wirren unbeirrt festhielt. So war er Mitherausgeber einer Jugendbuchreihe im Marhold-Verlag und verfasste selbst eine Reihe von auch für Erwachsene höchst lesenswerten Heften dieser Serie. Seine meist weihnachtlichen Spielstücke – durchweg mit musikalischen Passagen und wertvollen Anregungen für die Aufführungspraxis durchsetzt – wurden unter seiner Leitung mit der gesamten Dorfgemeinde Drevenacks eingeübt und als kulturelle Jahreshöhepunkte aufgeführt. Sie fanden dann durch Veröffentlichung unter anderem im Deutschen Laienspielverlag weitere Verbreitung

Erich Bockemühl war ohne Zweifel ein durch und durch musischer Mensch. Selbst jahrzehntelang Organist, setzte er sich literarisch mit dem Werk großer Komponisten auseinander (der unveröffentlichte Entwurf eines Musiker-Prosabuchs befindet sich im Nachlass). Seine ausgeprägt musikalische Sprache inspirierte befreundete Komponisten zur Vertonung von Gedichten, Kantaten und Krippenspielen (Quirin Rische, Max Scheunemann et al.). Intensive Freundschaften pflegte er mit zahlreichen bildenden Künstlern aus dem niederrheinischen Raum. Allen voran der Maler und Bildhauer Prof. Otto Pankok, einer der bedeutendsten deutschen Expressionisten, der seinen „Carissimo“ mehrfach porträtiert hat.

Das gesamte nachgelassene Werk Bockemühls (einschließlich seiner außerordentlich umfangreichen Briefwechsel mit zahlreichen Künstlerpersönlichkeiten bis hin zum Literatur-Nobelpreis-Träger Knut Hamsun) befindet sich – auf Initiative meiner Eltern Günther und Gretel Bockemühl – im Heinrich-Heine-Archiv in Düsseldorf. Leider werden von dort aus keine Impulse gesetzt, es einer heute sicher erst zu interessierenden und dann vielleicht auch interessierten Öffentlichkeit seiner dichterischen Bedeutung angemessen zu präsentieren.
Vielleicht vermag es die Großfamilie Bockemühl, die Erinnerung an einen ihrer bedeutendsten Söhne – auch über das bevorstehende Familientreffen im Mai 2001 hinaus – wachzuhalten.

Hartmut Bockemühl, im April 2001

 

 

 

Erich Bockemühl, zu seinem 80.ten Geburtstag

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Ansichtskarten

 

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Die Lippe

Die Lippe und die Schiffmühle in Crudenburg

Aus dem Buch „Niederrheinischer Wassermühlenführer“ von Hans Vogt, 2. Auflage von 1999, ISBN 3-00-002906-0

Mit freundlicher Unterstützung von Herrn Volker Hartmann (Oberhausen)

 

Der Fluss:

Quelle:       in Lippspringe im Kurpark 141 m ü.M 15 m ü.M.

Mündung:    Rheinstrom-km 815 bei Wesel

Länge: 230 Km

Mittlere Breite in der Rheinebene: 30 bis 35 Meter

Abflußmenge im Jahresmittel 1965-88 am Pegel Schermbeck 1:46,4 m3/sec. rd.

 Mühlenstandorte um 1850 (einschl. an Nebenbächen): 50

 

Als „Lupia“ war unser Fluß Im Jahre 9 n. Chr. von Vetera (Xanten) aus Marschweg und Nachschublinie für den unglücklichen Zug des römischen Generals Quinctilius Varus gegen den Cheruskerfürsten Arminius. Die römischen Schriftsteller Tacitus und Plinius haben ihn als erste beschrieben. Im frühen Mittelalter änderte sich sein Name in „Lippia“. Er war Vater der Städte Lippspringe, Lippstadt und Lippetal und sogar Namensgeber für ein Duodezfürstentum und – unter Napoleon – für das „Departement Lippe“.

Noch heute schlängelt sich die Lippe auf ihrem weiten Weg von der Quelle in vielen Windungen durch das Lipper Land und durch das westfälische und niederrheinische Tiefland, ehe sie in den Rhein fällt. Aber sie kann kaum „fallen“. Eher war es die besonnene Vermählung einer gereiften Dame – nach einiger Bedenkzeit. Denn bis zum 16. Jh. trafen sich die beiden nicht südlich, sondern ein gutes Stück nördlich von Wesel, ziemlich genau gegenüber dem einstigen römischen Castra Vetera bei Xanten. Auf diese „Nordmündung“ – und auf die nicht minder strategisch günstige Lage auf dem Fürstenberg bei Birten – geht die Gründung des großen römischen Militärlagers „VETERA I“ zurück. Das Lager ist um 12 v. Chr. entstanden und war Ausgangspunkt für den Feldzug des Varus. Die Gemächlichkeit und „Besonnenheit“ der Lippe hatten ihren Grund: Der Höhenunterschied von 126 m zwischen Quelle und Mündung mag, für sich besehen, ja noch eindrucksvoll erscheinen. Aber dazwischen liegen nicht weniger als 230 km, für die unserem Fluß ein nicht gerade üppiger Schwung zur Verfügung steht. Übrigens: Entsprechend lang ist die erste exakte Lippekarte, die der Geometer Joh. Bucker 1707 zeichnete: 22,5 m.

Trotz ihres relativ geringen Gefälles bekam die Lippe nur selten Nachschubprobleme, dank den Stau- und Sammelräumen im kalkreichen Untergrund bei Paderborn. Das machte die Lippe als Energielieferant interessant: Noch um 1920 trieb der Fluß 14 Mühlen an, zwei davon (in Lippspringe) über Turbinen, die anderen mit herkömmlichen Wasserrädern. Zuvor gab es noch mehr Lippemühlen. Viele hatte man schon im 19. Jh. stillgelegt, weil sie die Schiffahrt störten. Dazu gehörten auch die Flußmühlen, die man am Unterlauf der Lippe einrichtete. Von ihnen lag die Mühle vor der Krudenburg in unserem Betrachtungsgebiet. Schiffahrt wiederum hat es auf der Lippe nicht erst seit Varus‘ Zeiten gegeben. Der Fund eines 15,6 m langen Einbaums aus der Bronzezeit beweist das; es ist übrigens der längste Einbaum, der je in Europa gefunden wurde. Als 1931 der Wesel-Datteln-Kanal („Lippeseitenkanal“) eröffnet wurde, war es allerdings mit der Lippeschiffahrt vorbei, die Wesel schon zu Zeiten der Hanse zu einem bedeu- tenden Handelsplatz gemacht hatte. Seither hat unser altehrwürdiger Fluß einen Begleiter. Aus der Vogelschau ist es gut zu sehen: Während er selber sich unbekümmert durch die Wiesenlandschaft windet, möchte es scheinen, als habe die moderne Kanalbautechnik ein Lineal daneben gelegt.

Wie die Emscher, so geriet auch die Lippe mit der Industrialisierung in Konflikt. Auch ihr machen Siedlungsabwässer und Bodensenkungen durch den Bergbau das einst so gesunde Leben schwer. Um ihre Lage zu verbessern, wurde 1926 der Lippeverband mit Sitz in Essen und Dortmund gegründet. Von den vielen mühlentreibenden Zuflüssen der Lippe liegen drei am Niederrhein: der Schermbecker und der Gartroper Mühlenbach, sowie der Rehrbach. Sie sind jeweils zwischen 8 und 10 km lang und beziehen ihre Vorflut aus den Wäldern beiderseits der Lippe.

Original der Lippe-Karte von 1707: Staatsarchiv Münster, Kartensammlung Nr. 7621; zur Lippe-Schiffahrt und zum Kanalbau: FRAAZ, Karl-Otto, „Wechselvolle Geschichte – Wasserbau und Schiffahrt am Wesel-Datteln-Kanal“, in: Der Lichtbogen (Chem. Werke Hüls), 1977, S. 126 ff.; RÜHLING, Hans-Bernd, „Der Lippe-Schiffahrt Glanz und Ende“, in: HK Krs. Dinslaken 1959, S. 45 ff.; RUPPERT, Jürgen, „Die Lippe-Aufgaben und Nutzungen“, in: Jb. Krs. Wesel 1993, S. 129 ff.

 

Bild 66 zeigt die Schiffmühle in Krudenburg

Hünxe-Krudenburg  (vor 1363 – 1827

 

Nr. 66 Schiffmühle Krudenburg, Hünxe. Sie bestand an dieser Stelle schon seit dem 14. Jh. Der Preußische Staat kaufte sie 1827 auf, um sie zu beseitigen und die Schiffahrtsverhältnisse auf der Lippe zu verbessern.
– Nachzeichnung einer Flurkarte von 1733.

 

Das Bild unten zeigt die heutige Situation. Es ist ungefähr von der Stelle aufgenommen worden, wo in der obigen Karte „Weide“ steht. Der Mühlenstandort war links in dem aufgeschütteten Gelände auf der anderen Uferseite (jetzt eine Wiese). Dahinter sind einige Gebäude des Ortes Krudenburg zu erkennen. Weit im Hintergrund sieht man die neue Lippebrücke.

Außer auf dem Rheinstrom gab es hierzulande allein auf der Lippe Schiffmühlen. Zählt man die spätmittelalterlichen Mühlen bei Wesel nicht mit, waren es insgesamt drei „echte“: in Vogelsand/Haltern, Dorsten und in Krudenburg. Am Mittellauf lagen darüberhinaus neben den vielen ortsfesten „Ufermühlen” noch an die 10 Mühlen auf Pontons. Alle Mühlen oberhalb Vogelsand waren nicht überwindbare Hindernisse für die Lippeschiffahrt. Bei ihnen mußte die Fracht jeweils auf ein jenseits liegendes Schiff umgeladen werden.

Die überlieferte Geschichte der Krudenburger Schiffmühle beginnt mit einem Kaufvertrag vom 26. April 1363, mit dem Graf Johann von Kleve dem Ritter Rutgher van dem Buetsler die Krudenburg verkauft hatte. Dazu gehörte auch die „wathermoelen die geleghen is in der Lippe tusschen Crudenborgh ende Hünxe mit oeren toebehoeren ende tgemale“. Das Gemahl (der Bannbezirk) erstreckte sich auf das ganze Kirchspiel Hünxe, einschließlich einiger außerhalb liegender Höfe.

Eine ungefähre Vorstellung von der wassertechnischen Situation gibt uns eine Flurkarte, die der Ingenieur-Kapitän v. Wrede 1733 gezeichnet hat. Danach lag das doppelrümpfige Mühlenschiff nicht offen im Strom – wie bei den Rheinmühlen üblich – sondern an einer schmalen Öffnung zwischen Sandinseln. Ein seitab liegendes Wehr sorgte für beständigen Durchfluß. Weil auch die Lippekähne durch diesen „Kanal“ mußten, hatte ihnen der Müller Platz zu machen – gegen eine Gebühr, versteht sich. Anschließend mußte er sein Mühlenfahrzeug mit seinen Knechten wieder in „Grundstellung“ bringen. Vom Platz in der Sandinsellandschaft profitierten auch die Fußgänger. Gegen einen Obulus konnten sie über den Mühlensteg und das Wehr zum Kirchdorf Hünxe gelangen. Das war schneller und wohl auch billiger als die Fähre. Denn eine Brücke gab es erst in neuerer Zeit.

Mit dem Aufkommen der Dampfschiffahrt in der ersten Hälfte des 19. Jh. war die Zeit der Krudenburger Mühle vorbei. Dampfer brauchen freie Fahrt. Der letzte Krudenburger Schiffsmüller Peter Benninghoff trat deshalb 1827 Mühle und Staurecht an den preußischen Fiskus ab, der die Schiffahrtsverhältnisse auf der Lippe verbessern wollte.

Die Krudenburger Schiffmühle bekam übriges 1838 eine Nachfolgerin: die Hünxer Windmühle. Benninghoff hatte sie damals zusammen mit dem Hünxer Oekonom und Gastwirt Johann Heinrich Berger gebaut. Als später die Kinder der beiden heirateten, bekamen sie die Mühle als Mitgift.

Ihre Nachkommen bewohnen die Mühle noch heute.

 

HAUPT, Jürgen D., „Schiffe und Mühlen auf der Lippe“, in: HK Krs. Wesel 1982 S. 156 ff.; LACOMBLET, Urkundenbuch (154), Bd. 3 S. 537 Nr. 638 (Vertragsurkunde von 1363); SCHLEIDGEN spricht in seinem Urkundenbuch Kleve-Mark (224) von einer Windmühle -irrtümlich, wie der Originaltext beweist; v. MALLINCKRODT, Kurt, „600 Jahre Krudenburg“, in: HK Krs. Rees 1964 S. 34 ff., 1965 S. 47 ff. u. 1966 S. 107 ff.; siehe auch unter Rheinmühlen (Ziff. 6 Bislich). Die benachbart liegende Dorstener Schiffmühle wurde übrigens noch 1828 auf sechs Jahre zur Verpachtung ausgeschrieben (Reg.Amtsbl. Düsseldorf Nr. 74, S. 372), ehe auch sie verschwinden mußte.

 

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Schulzeit

 

 

 

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Geschichte Lippeschifffahrt

Aus der Geschichte der Lippeschiffahrt
von Hein Terbrüggen                                                                            Heimatkalender 1965

Schon vor 2000 Jahren wurde die Lippe mit großen Kähnen befahren; der Beweis liegt in einem Schuppen am Haus der Heimat in Dinslaken: Es ist ein Einbaum von über 15 m Länge. Aber noch bis in das vorige Jahrhundert hinein war die Lippe ein bevorzugter Schifffahrtsweg von Westfalen zum Rhein. Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, die Schiffahrt auszubauen und die Lippe zu einer Wasserstraße erster Ordnung zu machen. Mit diesen Versuchen erfolgte gleichzeitig ein rigoroser Abbau der Wälder, die diesseits und jenseits der Lippe standen und deren kostbares Holz nach Holland verfrachtet wurde zum Bau von Schiffen. Am Unterlauf der Lippe, aus Flaesheim und Dorsten, aus den Schermbecker Wäldern, aus Gartrop, Gahlen und Hiinxe und aus dem Dämmerwald wurde das Holz auf dem Wasserweg an den Rhein gefahren.

ZOLL SCHON 1462

Nur die Bürger von Dorsten dürften wissen, daß ihre Stadt schon 1462 einen kurkölnischen und einen städtischen Lippezoll erhob. Dorsten führte damals die Bezeichnung „Klein-Amsterdam“. Der Bau von Lippeschiffen brachte der Stadt eine große Blütezeit, ebenso auch dem kleinen Ort Krudenburg. Aber auch damals schon waren die verwaltungstechnischen Schwierigkeiten größer als die natürlichen. Bei der unsinnigen Kleinstaaterei konnten sich Kurköln, Vest Recklinghausen und Herzogtum Kleve nicht einigen, weder bei der Festsetzung der Schiffszölle noch bei der Anlage der Leinpfade, erst recht nicht über die Arbeiten zur Erhaltung der Lippeschiffahrt. Wohl gelang es Friedrich dem Großen, die Anliegerstaaten für eine gemeinsame Regelung der Instandhaltung aller anfallenden Einrichtungen zusammenzuführen, doch alle gutgemeinten Ratschläge scheiterten an den eifersüchtigen Plänkeleien der Kleinstaaten.

ZU NIEDRIGE BRÜCKEN

Und wenn sich schon Staaten nicht einigen konnten, nahmen auch die Bürger keine Rücksicht auf die Notwendigkeit einer Lippeschiffahrt. Sie bauten die Brücken viel zu niedrig, stellten die festen Mühlen zu nahe ans Ufer, obwohl die schwimmenden Pont- oder Floß-mühlen ans Ufer gezogen werden konnten. Beim Vorbeifahren an den Mühlen entstanden erhebliche Zeitverluste. Kein Wunder, daß die Schiffahrtsgesellschaften bemüht waren, die Mühlen zu beseitigen. Bei den Floßmühlen war das verhältnismäßig einfach, bei den anderen Mühlen in Krudenburg und Dorsten war es schwieriger.
Das ärgerlichste Hindernis für die Lippeschiffahrt aber blieben die Brücken. Sie waren so niedrig angelegt worden, daß selbst die flachgebauten Kähne kaum die Durchfahrt passieren konnten. Hermann Fermum aus Hünxe weiß davon zu berichten, „daß die Schiffer auf der Lippe nach glücklichem Passieren der Brücke jedesmal die Mütze vom Kopf zogen und drei Vaterunser beteten“.

EIN HINDERNIS

Die Brücken wurden auch ein nicht zu bezwingendes Hindernis für die geplante Lippe-Dampfschiffahrt, die der damalige Kreissekretär Hermann aus Hamm einrichten wollte. Am 30. August 1853, vor 111 Jahren, erfolgte die erste Probefahrt eines Schiffes, das einen viel zu großen Tiefgang hatte und für die Schleusen zu lang und zu breit war. Bei der Konstruktion des Schiffes waren die Engpässe gerade am Unterlauf der Lippe nicht berücksichtigt worden. Auch beim späteren Umbau zeigten sich so viele Schwierigkeiten, besonders durch die Versandung, daß der kühne Plan aufgegeben werden mußte.
Die Lippe war früher nie wasserarm, sie erhielt ihren Zustrom bei Regenzeit und in der Schneeschmelze durch ungeheure Wassermassen, die in das Flußbett ein- und überströmten. Die Wälder speicherten dann das Wasser, das in der Lippe dem Rhein zufloß. Die starke Abholzung und damit verbunden die Versandung und Versteppung taten ihr übriges. Als die Versandung dann ciie Schiffahrt behinderte, wurde versucht, den Wasserweg wieder frei zu machen, aber vergebens: die kostbare Zeit war vertan.

KRUDENBURG ALS UMSCHLAGPLATZ

Das idyllische Krudenburg gegenüber Hünxe, jenseits der Lippe, war durch die Lippeschifffahrt groß geworden. Hier gingen die Schiffer und Flößer vor Anker, und die Pferdehalter übernachteten dort. Auch im Winter blieb das Leben in Krudenburg rege, weil dort ein Überwinterungshafen eingerichtet war, dessen Benutzung kostenlos blieb.
Ganz gefahrlos war die Schiffahrt damals natürlich nicht, denn noch 1855 wurde ein Unterstützungsverein gegründet für Schiffer und Flößer, die „an oder auf der Lippe“ ihren Haupterwerb fanden. Unter den Unterschriften befindet sich auch die von Gottlieb Schölten aus HÜnxe, der mit seinem Schiff zwischen Wesel und Lippstadt fuhr.
Als später die Eisenbahn gebaut wurde, verlor die Lippe ihre Bedeutung als Verkehrsstraße, die Versandung nahm zu und brachte die Schiffahrt ganz zum Erliegen. Heute ist die Lippe ein Fluß, der das Bild einer Landschaft prägt.
Leider aber wird sie heute vielfach auch als Abflußkanal benutzt und gefährdet durch vergiftetes Wasser die Fischzucht. Heute beherrscht der Lippe-Seiten-Kanal das Bild der Landschaft diesseits und jenseits der Lippe, ein Kanal, der heute schon zu den bedeutendsten Wasserstraßen unseres Landes gehört.

 

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Uralter Lippefluss

Vom uralten Lippefluß bis zum Kanal Datteln-Wesel
von Benno Bertram                                                                              Heimatkalender 1963

 

Spricht man über die Lippe im engen Zusammenhang mit dem Niederrhein, muß man vor allem jene alte, trutzige Stadt erwähnen, die schon zu Karls des Großen Zeiten als kleiner Ort im Mündungsgebiet der Lippe lag und Lippeheim oder Lippemund geheißen haben soll.

Ich meine Wesel, das wahrscheinlich zur Zeit Heinrichs des Voglers seinen endgültigen Namen erhielt. Allerdings hatte noch vor dreihundert Jahren die Lippe bei Wesel zwei Mündungen in den Rhein, die erste bei der früheren Weseler Vorstadt Averdorp, die zweite bei der Ortschaft Fluren. Kurz hinter der Mündung in den Rhein bei Averdorp verließ sie nämlich in zwei Armen, die sich in der Gegend des geschleiften Rheintors wieder vereinigten, den Rheinstrom. Nach dieser Vereinigung floß sie an dem ebenfalls verschwundenen Fischertor vorbei und trat dann zum zweitenmal bei Fluren in den Rhein. Große Veränderungen im Laufe des Rheins und der Lippe hoben in den nachfolgenden Jahrhunderten die alten Mündungen auf und verlegten den Einfluß nicht weit von der jetzt zerstörten Zitadelle.

Die Lippe hat der Stadt Wesel, die sie mit Recht für ihren Verkehr und Aufschwung benutzen wollte, immer viel Sorgen gemacht. Der früher ziemlich bedeutende Verkehr ging durch Versandung am Mündungsgebiet sehr zurück. Durch den im Jahre 1784 mit Rücksicht auf die starken Befestigungen gegrabenen”Büdericher Kanal“ wurden die Werft- Verhältnisse der Stadt sogar ernstlich geschädigt. Der Lippesand konnte nicht mehr vom Rhein fortgeführt werden, seine Ablagerungen wurden der Schiffahrt zum Verhängnis. Die in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gelegte Kanalisation brachte etwas Abhilfe. Erst der vor einunddreißig Jahren zur Vollendung gelangte, mit mächtigen Schleusen ausgestattete Lippeseitenkanal, der an die Büdericher Insel grenzt, sich durch Teile der Kreise Rees, Dinslaken und Recklinghausen bis nach Datteln erstreckt, ein Meisterwerk deutscher Ingenieurkunst, hat die Erwartungen der Stadt Wesel auf einen guten Hafen endlich erfüllt.

Ich glaube nun, Wesel, der Mündungsstadt der Lippe, genügend Aufmerksamkeit ge= schenkt zu haben, und wende mich der Geschichte des Schiffahrtsweges des uralten deutschen Lippeflusses zu, aus der hervorgeht, welch großen Anteil der Niederrhein und seine Bevölkerung stets an seiner Schiffbarmachung nahmen. In einer Zeit, da der größte Teil Deutschlands noch mit unwegsamen Urwäldern und Sümpfen bedeckt war, mußte die Lippe, vermöge der Richtung und Gestrecktheit ihres Laufes, schon früh als Vermittlerin des großen Verkehrs zwischen dem Innern Deutschlands und dem Niederrhein eine große Rolle spielen. Treidelpfade an ihrem Ufer, günstige Wasserfülle bis zum Oberlauf gestatteten die müheloseste Benutzung dieser von der Natur geschaffenen Doppelstraße. Römerzeiten lassen außer der Festung Ulpia (Alpen) das „castra vetera“ am Niederrhein stark hervortreten. Beweis dafür, welche Bedeutung der Römer der Lippemündung als Einfallstor nach Norddeutschland zumaß. Diese Rheinfestungen waren immer mit starken Besatzungen belegt. Auch an dem Oberlauf der Lippe, im Paderbornschen beim Einfluß der Alme in den Strom, errichtete der römische Feldherr Drusus eine Burg mit Namen Aliso.

Am Niederrhein standen immer größere römische Truppenmassen gegen aufrührerische Sigamberer, Brukterer, Marsen und Cherusker schlagbereit. So lagerte bei einer Expedition durch das Lippebett Germanicus, der Sohn des Drusus, mit 12 000 römischen Soldaten, Reitern und Hilfsvölkern bei dem sagenhaften blauen Wald (silva caesia) in der Nähe von Birten. Es ist der jetzige Weseler Wald, ein Urwald, der wegen des geheimnisvollen Schattens seiner mächtigen und vielen Bäume der blaue Wald genannt wurde. Er erstreckte sich in alten Zeiten längs dem rechten Ufer der Lippe von Coesfeld bis Wesel hin, und war ein Teil des berühmten Hercinischen Waldes, der sich damals durch ganz Deutschland zog. Manches große Proviantschiff mag in diesen römischen Eroberungszeiten vom Niederrhein Lippe aufwärts gefahren sein, denn im noch wenig ausgebauten Germanien mußten die römischen Soldaten ständig Zufuhr haben.

Unter den ältesten mittelalterlichen Nachrichten über die Schiffahrt auf der Lippe befindet sich ein Entwurf zu einer Kanalisation. Nicht Mangel an Fahrwasser war die Ursache hierzu. Die vielen Lippemühlen, besonders am mittleren und oberen Teil, machten ein Umfahren notwendig.

Diese erste Anregung zur Schiffbarmachung der Lippe wurde im Jahre i486 von dem Herzog Johann von Kleve-Mark gegeben. Er teilte zu dieser Zeit dem Drosten Knipping zu Hamm mit, daß die Stadt Soest vorschlage, ein Lippestrombett zu bauen, dessen Wasser an zwölf Lasten tragen könnte.

Der Weg sollte von Soest bis Hamm in die Lippe und von Hamm auf der Lippe bis Wesel führen. Mit den münsterischen und kölnischen Mühlenbesitzern an der Lippe möge man dieserhalb verhandeln. Sobald der Kurfürst von Köln vom Wormser Landtag zurück sei, wäre es ihm angenehm, wenn hierüber zwischen Kurköln, dem Stift Münster und Kleve-Mark in einer Zusammenkunft verhandelt würde.

Der tatkräftige und umsichtige Herzog Johann von Kleve hatte schon längst erkannt, daß die Lippe als direkter Handelsweg seinen Untertanen besten Austausch mit den in Betracht kommenden Landesteilen von Köln und Münster vermitteln könne. Unter anderem hatte er die Hebung des Salzhandels im Auge (Salz wurde in der Mark bei Unna gewonnen), und die Förderung der Industrie durch schnelle und leichte Beschaffung der sauerländischen Eisenerze, deren Stapelplatz Soest war. Schließlich ging es ihm bei dem Plan darum, den reichen Erzeugnissen der Soester Gewerbe und Landwirtschaft die Ausfuhr zu erleichtern.

Leider kam die großzügige Anregung des Herzogs nicht zur Ausführung, sie muß wohl nicht das nötige Entgegenkommen bei Köln und Münster gefunden haben. Unbegreiflich, denn besonders Kur-Köln hätte schon damals in Bezug auf seine Werler Salinen und sauerländischen Erzeugnisse größtes Interesse haben müssen.

Diese Werler Salzausfuhr war es auch, die nach langer Zeit, 1628, den Kölner Kurfürsten, Ferdinand von Bayern, veranlaßte, selbst die Kanalisation der Lippe in die Hand zu nehmen. Er trug die Angelegenheit dem Landtag vor, die in einem Schreiben Consulatio und Vorschläge über die Navigation des Werlischen Salbachs bis in die Aese, forthin in die Lippe und dann weiter bis in den Rhein“ festgelegt wurde. Zu dieser Zeit war der Kurfürst von Köln gleichzeitig Fürstbischof von Münster und Kleve-Mark. Er hatte nichts gegen einen Schiffbarmachungsplan der Lippe. Die furchtbare Zeit des 30jährigen Krieges war diesmal  ausschlaggebend und verhinderte das Projekt.

Kur-Köln war es 1628 ernst mit der Arbeit gewesen, aber erst 1666 konnte es mit demselben Ansinnen an Brandenburg, den neuen Besitzer von Kleve-Mark und Münster, herantreten. Auf der Ende März 1667 zu Hamm an der Lippe hierüber abgehaltenen Konferenz stellte man verschiedene Punkte in Erwägung: So die Berechnung der Kosten für die Schleusen, die gleichmäßige Verteilung der Ausgaben und Einnahmen, den gleichzeitigen Beginn der Arbeit der drei Mächte und schließlich die Besichtigung der Lippe durch Abgeordnete von Lippstadt bis Dorsten. Letzten Punkt griffen die münsterischen Vertreter gleich auf. Als es aber zur Wahl der Sachverständigen kommen sollte, suchten sie die Angelegenheit zu verschleppen, denn sie waren mit der Zeit Gegner der Schiffbarmachung der Lippe geworden, und auch der damalige Fürstbischof Bernhard von Gahlen schrieb, daß die Arbeit dem Stifte schädlich sei. Die Kur-Kölnischen und Märkischen hätten den größten Vorteil dabei und müßten auch die größten Kosten zahlen. Die angesetzten Zölle dagegen sollten mit Münster geteilt werden. Münster wollte also keine Kosten, wohl aber Gewinn an dem Werk haben. Durch Privatabsichten münsterischer Einwohner wurde auch diese Anregung nicht in die Tat umgesetzt.

Fast vierzig Jahre vergingen, ohne daß das Lippeprojekt Fortschritte machte. Die kriegerische Zeit des Sonnenkönigs am Niederrhein taugte nicht dazu, ein großes, friedliches Werk zu vollenden.

Erst 1707 kam eine Anfrage von der Klevisch-Preußischen Regierung an das Kölner Domkapitel, ob es bereit sei, die unpassierbaren Stellen an der Lippe mit in Angriff zu nehmen. Es kam zu keinem Entschluß. Darauf schickte Preußen 1710 den klevischen Geheimrat Luben nach Köln, der von der Kur-Kölnischen Regierung, die eine Kanalisation sehr lobte, allerlei Unterstützungen, man spricht von 8000  Rheinthalern, in Aussicht gestellt

bekam. Köln hatte nämlich schon seit früheren Jahren die Absicht, die Stadt Hamm zu einem Salzstapelplatz zu machen. Doch Münster, unter der Regierung von Bischof Arnold von Metternich, lehnte auch dieses Mal den gutgemeinten Vorschlag ab. Kriegerische Ereignisse lenkten bis 1744 die Gedanken von der Lippekanalisation ab. Von dieser Zeit bis 1754 tauchten verschiedentlich ernste Pläne auf, die wiederum vergeblich waren.

Erst 1764 begann die erfolgreiche Zusammenarbeit, die 1771 Einigung über die Verteilung der Kosten, den Leinpfad und das Zollwesen zwischen den Uferstaaten festlegte. Und es wäre ein Anfang gemacht worden, wenn nicht die gebliebene gegenseitige Eifersucht den Entschluß zur Tat unausführbar gemacht hätte.

Endlich bei Beherrschung des ganzen Lippegebietes durch Preußen, 1820-1830, wurden zur Umgehung der  flußversperrenden Mühlenstauwerke  die ersten Schiffsschleusen errichtet.

Bis 1875 haben sie die Lippeschiffahrt schlecht und recht geregelt. Ein neuer Lippekanal, der schließlich bis Lippstadt reichte, machte dann die Schiffahrt auf der Lippe ganz entbehrlich.

 

 

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Lehrergehalt

Lehrergehalt aus der Abendmahlskasse                   

Die Schule zu Krudenburg und ihre Lehrer                                 Heimatkalender 1969

Von der hiesigen reformierten Kirchengemeinde wurde 1785 auch eine reformierte Schule gegründet, weil es unmöglich schien, daß die Kinder der reformierten Eltern die lutherische Schule hierselbst besuchen könnten. Die Anregung zur Gründung dieser Schule ging von dem Prediger Terstegen aus. In dem Frotokollbuch der Weseler Classe ist zu lesen: 1755. Dem Herrn Prediger Terstegen wird auf der Classe improvisiret, fleißig den Heidelberger Katechismus zu gebrauchen. Weil sich in Crudenburg kein Schulmeister oder Vorsänger befindet, so soll hierfür eine Collecte beantragt werden.“

1759. Der hiesige Prediger stellet dem Consistorium (Presbyterium) vor, daß in den reformierten Kirchen der Schulmeister oder Vorsänger vor der Predigt ein oder zwei Kapitel aus der Bibel vorlese, und bei Krankheit des Predigers eine Predigt lese.“

1764. Ein Kapital von guten Freunden zur Anstellung eines Schulmeisters erhalten; es sind 30 Thl.“

Von 1767 bis 1784 sind vom Könige fast jedes Jahr 50 Thl. zur Anstellung eines Schulmeisters geschenkt worden. Auf der Synode von 1777 wurden noch gesammelt 36 Thl. 3 st. Von den Zinsen dieser Kapitalien wurde vorläufig der Vorsänger Schulz besoldet, welcher jährlich 18 Thl. erhielt. Als die Clevische Regierung 1784 dahinterkam, erließ sie hiergegen eine große Verordnung und befahl, daß die Zinsen gespart werden sollten für das Schulmeistergehalt. Meister Schulz mußte nun also entlassen werden, und man beschloß, daß beim Abendmahl immer für das Lehrergehalt gesammelt werden sollte, und Herr von Striinkkede erbot sich, daß er jedesmal einen Thl. geben wollte, damit das Gehalt bald zusammen wäre.“

1875 beantragt das Konsistorium bei der Regierung die Genehmigung zur Anstellung eines Schulmeisters. Die Kapitalien betrugen jetzt 1000 Taler schlecht Geld, und das gäbe an Zinsen für das Gehalt 40 Taler, hinzu kämen noch 4 Taler für das Läuten. Die Regierung antwortete, daß sie sich von dem Richter Pagenstecher in Wesel habe Bericht erstatten lassen, und daß sie ihre Genehmigung erteile. Die Gemeinde möge sich von den Seminaristen in Wesel einen aussuchen. Es haben darauf drei Subjekte geprobt, und einstimmig ward gewählt am 28. Juni 1785: Andreas Haack (1785/1786).

Von der Regierung wurde diese Wahl bald darauf bestätigt. Da ein Schulhaus nicht vorhanden war, so wurde eine Schulstube in dem Grotheschen Hause gemietet für 5 Taler 30 Stüber jährlich. Das Grothesche Haus ist das jetzige Sickingsche Haus, nämlich Nr. ig. (Am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört. Es lag neben Amerkamps Haus Nr. 18, gegenüber den Anlagen vom Hause Crudenburg. Zur Zeit ist dort ein Parkplatz aber es soll bald da wieder gebaut werden. Anm. d. Verf.) Der Lehrer wohnte bei Henrich Sieberg im Hause und für ihn wurden zuerst 13 Taler und später 10 Taler für Miete bezahlt. Andreas Haack starb aber schon anfangs Januar 1786. Das Henrich Siebergsche Haus ist das jetzige Haus Nr. 9 (?). Nach Haacks Tode berichtet das Protokollbuch des Konsistoriums also: Der Prediger ist nach Wesel gewesen und hat mit dem Direktor Seminarii Schehl Rücksprache genommen über einen neuen Schulmeister. Derselbe hatte augenblicklich keinen, erklärte aber, daß der Bürgermeister Velhacke in Wesel einen namens Conradi und dann auch den Schulmeister zu Gartrop, sowie den Unterschulmeister Stoecker zu Mettmann im Herzogturn Berge in Vorschlag gebracht habe. Der Prediger verliest eine Bittschrift an die Regierung, entweder Conradi oder Stoecker wählen zu dürfen.“

Die Genehmigung kam Stoecker aber wurde krank, so daß er seine Fähigkeiten nicht zeigen konnte, und Conradi ward gewählt. Conradi kam, erklärte aber gleich, daß er bei dem geringen Gehalt nicht bestehen könnte; er könne in Wesel durch Privatinformation mehr verdienen. Nun wurde Stoecker berufen, der inzwischen gesund geworden war. Die Regierung befahl aber, nachdem er schon gewählt war, daß er von Seminardirektor Schehl in Wesel geprüft würde. Er ward für unfähig erklärt. Die Regierung erlaubte ihm, ins Seminar zu gehen. Er tat dies nicht; nachdem er der Gemeinde viele Kosten verursacht hatte, ging er nach Hause.

In der nun folgenden schulmeisterlosen Zeit wurden von dem Schulkapital 250 Taler zur Reparatur des Pfarrhauses verwendet. Die Regierung erteilte hierzu ihre Genehmigung, jedoch sollte dieses Geld bis zur Wiedererstattung mit 2% verzinst werden. Lehrer Croote 1788/1792. Derselbe erhielt die Stelle 1788. In diesem Jahre erschien auch eine Verordnung der Regierung, welche befahl, daß alle Eltern ihre Kinder in die Schule schicken sollten. Groote versah den Küsterdienst zugleich mit. Er wurde 1792 als Lehrer nach dem Lauerhas berufen.

Es   folgte   darauf  Lehrer   Schievelkamp.   Er   stammte   aus   Wesel.    Seinen  Lebensgang hat er in einem kleinen Notizbuch also bezeichnet: Am 14. April 1780 auf die hohe Schule bei Herrn Gempt gekommen. Am 14. Mai 1781 bei Herrn Heimann gekommen; am 19. Mai 1783 bei Herrn Hüter gekommen und von da auf das Seminar bei Herrn Schehl und Vallen-stein. Schullehrer geworden 1787. Nach Crudenburg gekommen 1790.“ Zwei Jahre war er als Hauslehrer auf dem hiesigen Schloß. Als dann 1792 die reformierte Stelle leer wurde, da wählte man ihn an diese Stelle. Er war nunmehr 26 Jahre alt. Als 1816 die umliegenden Gemeinden die Union schlössen, wurde er am 9. Dezember 1816 Lehrer beider Schulen. Am 11. Februar 1800 verklagte Schievelkamp den Prediger Mann, daß er von den oben erwähnten 250 Talern keine Zinsen an ihn zahle. Mann gibt an, daß er immer die Hausmiete für ihn bezahlt hätte, wogegen Schievelkamp behauptet, daß ihm freie Wohnung versprochen sei, auch sei  die Hausmiete nicht bezahlt, sondern es restierten noch 40 Taler. Schon  vor 1V2 Jahren, also 1798, habe er sich eine eigene Wohnung suchen müssen. Als kaiserliche Truppen hierher gekommen seien, hätten sie die Schulstube zur Wachtstube genommen und ihn nachher mit Einquartierung so stark beschweret, daß er es nicht mehr aushalten konnte. Er wurde nun aus dem Hause verwiesen, weil er die Lasten nicht mehr tragen konnte. Mann erklärte: Vom Dezember 1793 bis Dezember 1794 ist die Miete bezahlt. Wegen der Einquartierung hat Schievelkamp die Wohnung verlassen und zwar mitten im Jahr (also Juli 1798). Schievelkamp muß auf Geduld verwiesen werden.“ Der Prediger wurde zur Zahlung verurteilt, wurde aber krank, und Schievelkamp klagte wieder, daß er Hunger leiden müsse. Bisher habe er sein Brot durch saure Tagelöhnerarbeit verdienen müssen, wobei er Wasser getrunken hätte. Das Wenige, was noch eingekommen sei, hatte er für Hausmiete und Landpacht entrichten müssen, und dabei habe er noch den lutherischen Schulmeister zu unterhalten, welcher mehr Einkommen hätte als er, und auch ganz entbehrt werden könne, da hier keine lutherische Kirche sei. Prediger Mann starb 1801. Seine hinterlassene Witwe sollte wenigstens die Hälfte zahlen. Sie entsagte der Erbschaft. Und was wird der Ausgang gewesen sein?

Die Schulstube und Lehrerwohnung

Die Schulstube war zu Haacks Zeit in dem Grotheschen, jetzt Sickingschen Hause Nr. 19. (Die drei an der Hauptstraße gelegenen Häuser mit den Nummern 18, 19 und 20 sind im März 1945 zerstört worden. Es wohnten vorher dort die Familien Amerkamp, Sicking und Möllenbeck.) Die Lehrerwohnung wird hierbei nicht erwähnt. 1787 waren beide in dem Grothe-schen Hause, und von 1788 ist ebenfalls noch eine Mietquittung von Groth vorhanden. 1789 war die Schulstube bei H. Hintzen. Die Lehrerwohnung befand sich 1789 bei Heinrich Sieberg. Hier verblieb die Lehrerwohnung bis 1793. 1798 zog Schievelkamp in das jetzige Brük-kersche Haus Nr. 45 (hier wohnt zur Zeit [1965] die Familie Ridder/Wölker) und hatte dort seither Schulstube und Wohnung.

Schievelkamp wurde schon 1795 vom Prediger Mann auf der Weselschen Klasse also mitgenommen: Der Schullehrer in Crudenburg hat von seiner Geschicklichkeit und Treue in der Amtsführung noch keine Probe abgelegt, auch ist sein betragen mehrerer geschehener Ermahnungen unerachtet noch immer anstößig und unordentlich. Classe findet gut, dem Schievelkamp den jährlichen Classio-Beitrag zu seinem Tractament vor der Hand zu entziehen, bis daran er sich gebessert haben wird. Auch wird Präses bei Gelegenheit der Kirchenvisitation demselben nachdrückliche Ermahnungen zur besseren Aufführung und ordentlichen Wahrnehmung seines Amtes ertheilen. Im Fall aber dieses nicht helfen sollte, bei Hochlöblicher Landesregierung darum antragen, daß er vom Schulamte removiret werde.“ Schievelkamp legte 1838 am 1. 1. sein Amt freiwillig nieder, welches er 52 Jahre und 2 Monate verwaltet hatte.

Die lutherische Schule zu Krudenburg

Zum Andenken möge hier zunächst die lutherische Schulordnung Platz finden, welche einen Teil der klevisch-märkischen Kirchenordnung bildete:

Regula 1. Ein Schul-präceptor hat sich vor allen Dingen zu befleißigen, daß er in seinem Ampte getreu sei und die von Gott ihm verliehenen Gaben und Geschicklichkeit also anwende, damit er die Ehre Gottes und der ihm anvertrauten Jugend wahre, Wohlfahrt nach Seele und Leib befördere und in allem sich so verhalten möge, wie er’s nicht allein vor dem ihm Vorgesetzten, sondern auch vor Gott an jenem Tage verantworten könne. Regula 2. Des Endes hat sich hauptsächlich angelegen sein zu lassen, daß er die Kinder zur Erkenntniß und Furcht Gottes wie auch zu anderer guten Sitte aufs treulichste anzuweisen, und ihnen auch darin mit einem guten Exempel vorzuleuchten, auch nichts verabsäumen, damit sie im Buchstabieren, Lesen, Schreiben, Rechnen soweit sein Geschicklichkeit reicht und die Kinder es fassen können, unterwiesen werden.

Regula 3. Die Schule muß zur rechten Zeit angefangen und geendigt werden, als des Morgens von 8 bis 11 und des Nachmittags von 1 bis 4 Uhr, und hat der praeceptor zu solcher Zeit immer in der Schule präsent zu sein und nimmer die Kinder allein zu lassen, sollte aber nötiger Fall vorkommen, daß praeceptor von den Kindern abwesend sein müsse, so hätte er solches dem Prediger vorher bekannt zu machen und solchen zu ersuchen, daß jener, wo er möge, solange seine Stelle bei den Kindern vertreten möge.

Regula 4. Es muß die Schule sowohl Vor- als auch Nachmittags mit Gesang und Gebet angefangen und geendigt werden.

Regula 5. Hiernach soll von den Kindern, die lesen können, ein oder zwei Kapitel aus dem Neuen Testament deutlich gelesen und wenn solches geschehen ist, von praeceptore ein deutlicher Spruch oder vorgekommenes gutes Exempel den Kindern zur Lehre und Erbauung eingeschärft werden.

Regula 6. Wenn diese lectio biblica zu Ende gebracht, so hätten demnächst die anderen, so noch nicht so weit gekommen in behöriger Ordnung aufsagen, indeß aber müssen die größeren ihre Zeit mit Schreiben oder Auswendiglernen zubringen, da dann der praeceptor solchen Kindern nicht nur vorzuschreiben und wie sie die Züge zu machen deutlich anzuweisen, sondern auch die Schrift nachher fleißig zu corrigieren hat.

Regula 7. Der Katechismus Luthers muß zwar des Mittwochs und des Sonnabends in einer besonderen Stunde tractiret, recitiret und expliziret werden, jedoch wäre auch nothwen-dig, daß alle Morgen ein Hauptstück recitirt oder nachgelesen würde.

Regula 8. Soviel ihrer in einem Buche sowohl mit Lesen oder Buchstabieren zusammen lernen können, solche hätten zusammen zu sitzen und zu recitiren, damit einer den anderen desto fuglicher observiren und aufmuntren könne.

Regula 9. Wenn auch einige Eltern wären, welche ihre Kinder in die Latinität wollten eingeführt haben, so hätte der praeceptor sich auch nach Möglichkeit zu bequemen, sie darinnen mit anzuweisen und sich darinnen der Methode zu bedienen, die ihm vom Prediger dazu wird an die Hand gegeben werden, wie er auch bei aller seiner Arbeit dem Rat und der Vorschrift seines Prediger folgen muß.

Regula 10. Zu fleißigem Lernen, zur Stille und Aufmerksamkeit, wie auch Andacht im Beten, sowohl in der Kirche als Schule, nicht weniger zum Gehorsam gegen die Eltern, Prediger und praeceptor müssen die Kinder zuvörderst mit Worten ermahnt und bestens aufgemuntert werden; sollten aber der Eine oder Andere wegen Faulheit, Ungehorsam, Muthwillen, Lügen und dergleichen Laster müssen realiter bestraft werden, so sollte der praeceptor solche Strafe in Liebe und Moderation, nicht aber in Zorn und Grimm zu thun und sonderlich zu verhüten, daß darinnen nicht excediret werde.

Regula 11. Sollten sich einige Eltern finden, die wegen den praeceptor Beschwerde führten, und er deshalb entweder von den Eltern selbst oder vom Prediger angesprochen würde, so hätte er sich deshalb bescheidentlich zu verantworten, keineswegs aber auf Rache bedacht zu sein und  solches etwa die Kinder entgelten zu lassen.

Regula 12. Es soll auch der praeceptor fleißige Aufsicht über die Kinder haben, wenn sie in der Kirche seyndt, und ihnen darinnen keinen Muthwillen verstatten, die petulantes (mutwilligen, ausgelassenen) fleißig annotiren, und wenn sie vorher einigemal vermahnet und gewarnet seyndt, folgenden Tages in der Schule behörig bestrafen, auch der gehaltenen Predigt Sprüche von ihnen fordern, sie auch sonderlich dazu anhalten, daß sie frühzeitig in die Kirche kommen und ihre Sitze uffen Chor nehmen mögen.“

Brief des Predigers Ebeling zu Hünxe an den praeceptor daselbst

Ich erfahre sehr höchst mißfällig, wie der im vorigen Jahr wohlmeinend ergangenen Con-sistorial-Erinnerung (Presbyterium) und Verordnung wie auch unserer Kirchenordnung selbst sub. Nr. 93 pag. 53 et 54 zuwider die Schuljugend sehr sparsam an Sonn- und Feiertagen Nachmittags, noch weniger Vormittags, zum Gesänge, Gehör göttlichen Worts und Kinderlehr sich einfinde. Darum habe kraft meines Gewissens, tragenden geistlichen Wächteramts und Aufsicht laut unserer Königlichen Kirchenordnung abermals wohlmeinend erinnern wollen und sollen, daß Er künftighin seine Schuljugend treufleißiger als bisher geschehen, alle Sonn-und Feiertage Vormittags und Nachmittags zur Kirche, wie nicht weniger, daß dieselbe still, eingezogen und aufmerksam auf Gottes Wort sich erzeige, mit allem Ernst und Nachdruck sowohl in der Kirche selbst als nachgehends dazu in der Schule gebührend ermahne und anhalte, auch die petulantes oder absentes in Schule und Kirche genau notire und nochmals ernsthaft abstrafe. Übrigens, wenn Eltern sich finden dürfften, die etwa über gehörige und geziemend nöthige Disziplin murren sollten, so kann Er dieselben frei zu mir verweisen, alsdann werde ich ihnen schon Rede und Antwort nach dem Gewissen zu geben wissen. So ist auch absolute nothwendig und höchst geziemend, daß künftig bei Leichenbegängnüssen die gesamte Jugend in eine Reihe rangieret und durchaus nicht weiter in zwei Haufen noch weniger wie das Vieh mit Ungestüm zur Kirche ein- und auslaufen oder in der Kirche oder nach gehaltenem Gottesdienst oder geendigter Schule auf dem Kirchhof oder Gassen Geplau-

der und Gelärm anrichten, sondern in aller Stille und Ordnung in und aus der Kirche geführet werde, damit keine Unordnung im Gesänge, Unruhe unter der Predigt und Ärgerniß bei Leichenbegleitern oder anderen Zuhörern verursacht, dabei der Jugend scharf eingebunden werden muß, nach geendigter Schul sogleich in aller Stille nach Hause sich zu begeben und zu rechter Zeit sich wieder einzufinden, auf daß alles fein und ordentlich in und nach der Kirche und Schule hergehe.

Hünxe, den 9. März 1721 Ebeling, Pastor.“

Dieser Brief ist aufgezeichnet, weil die lutherische Schule zu Krudenburg eine Nebenschule von Hünxe war. In einem Einkommensnachweis der Hünxer Kirche und Schule ist auch der Nebenschulen in Bruckhausen, Buchold und Krudenburg gedacht. Von letzterer heißt es: Auch der praeceptor in Crudenburg wird erhalten durch einen freywilligen Beitrag der Eingesessenen“  und ferner: Die anderen Schulmeister in den Nebenschulen haben nicht viel mehr als das mensam ambulatoriam und das Schulgeld.“ Der Schulmeister in Hünxe hatte 50 Thl.“ Hünxe, den 2. Oct. 1767  Ritter, pastor.“

Als Lehrer werden genannt 1771 und ferner 1777 Lehrer Peters. Auch sein Titel war praeceptor; vielleicht ist er hier gewesen bis 1794, in welchem Jahre Lehrer Johann Albert Becker (1794—1801) die Stelle antrat. Von Mehrum ward er nach hier berufen; sein Gehalt betrug 45 Taler klevisch, er hatte es vom Bürgermeister zu erheben. Von jedem Kinde erhielt er monatlich 1 Stüber Schulgeld. Am 18. August 1801 wird er nach Hamminkeln berufen.

Lehrer Tembergen 1801-1811. Dieser soll 1809, als Napoleon die Chaussee von Wesel nach Münster baute, sich mit Steinklopfen ernährt haben. Kam nach Gemen.

Lehrer Schaler 1811-1814. Er war der Vater des letzthin zu Xanten verstorbenen Schöler und kam von hier nach Schermbeck.

1816 schlössen die umliegenden Gemeinden schon die Union, und Lehrer beider Schulen wurde der schon erwähnte Lehrer Schievelkamp 1792-1838. Sein Gehalt betrug anfangs 45 Reichstaler klevisch. 1829 erhielt er 33 Reichstaler Zulage. Die hiesige Kirche war 1826 geschlossen worden, und die vorhandenen Kapitalien wurden an die Kirchen zu Hünxe, Dre-venack und Gartrop verteilt.

Lehrer Philipp Becker Becker 1838-1858. Er war Lehrer in Anholt gewesen, und von hier kam er nach Krefeld als Vorsteher des Waisenhauses. Sein Geburtsort war Sehlbach, Kreis Siegen. In dem tollen Jahr 1848 bewog er alle Knaben, die deutsche Kokarde zu tragen. Gehilfe Heinrich Stötzel 1859-1860. Dieser unterrichtete provisorisch. Er stammte aus Aft-holderbach, Kreis Siegen. Darauf kam

Lehrer Adam Blankerts 1860-1874 aus Esper, Kreis Grevenbroich. Zu seiner Zeit war die Schülerzahl durchschnittlich 60. Demselben ertrank hier in der Lippe eine Tochter beim Baden. Im Mai 1874 schied er aus seinem Amte und wurde Gastwirt in Wesel, woselbst es ihm sehr gut geht.

Lehrer Julius Caspers 1874-1875 aus Dinslaken. Derselbe war fortwährend kränklich, so daß er nur wenige Wochen unterrichtet hat. Er behauptete, daß er sich diese Krankheit durch den Feldzug 1870/71 zugezogen habe, erhielt daher den Zivilversorgungsschein und wurde königlicher Steuerempfänger. Als solcher ist er in diesem Jahr in Geldern gestorben. Er nahm den Gehilfen Knüfermann an, welcher für ihn unterrichtete.

Gehilfe Knüfermann 1875-1876 aus Hamborn bei Dinslaken. Als derselbe seit Ende 1875 die zweite Stelle in Drevenack verwaltete, stand die hiesige Stelle wieder leer, bis der Schreiber dieser Chronik die Stelle Ostern 1876 übernahm.

Lehrer Wilhelm Gaecks 1876-1910, geboren auf Trutzlatzer-Mühle, Kreis Naugard, Pommern. Vorgebildet bin ich V2 Jahr in Gollnow, 2V2 Jahr in der Präparanden-Anstalt zu Cam-min an der Dievenov und 3 Jahre im Seminar zu Pölitz 1868-1871. Am 2. Juni 1871 wurde ich angestellt zu Falkenwalde bei Stettin und blieb daselbst bis Mitte October desselben Jahres. Vom 21. October 1871 bis Ende Dezember 1872 war ich angestellt an der sechsklas-sigen Stadtschule zu Pencun, 2 Meilen von Stettin. Wegen zu geringen Gehaltes (170 TM.) ging ich zur Cöln-Mindener Eisenbahn und habe gearbeitet auf den Stationen Oberhausen, Essen, Berge-Borbeck vom 28. Dezember 1872 bis zum 17. Februar 1875. Weil hier die Lehrergehälter bedeutend besser waren, so trat ich wieder zurück und erhielt meine erste Anstellung in Hünxerwald. Hier hielt ich aus vom 4. März 1875 bis Ostern 1876. In Crudenburg wurde ich angestellt am 20. April 1876 provisorisch und definitiv am 6. August 1877. Verheiratet habe ich mich am 21. Dezember 1877 mit Emma Kühnen, Tochter des Lehrers Diedrich Kühnen zu Gahlen. Wir haben drei Kinder: Wilhelm, Ernst und Meta. Die hiesige Stelle beträgt jetzt 1200, M., freie Wohnung, Garten und ein Stück Ackerland. Außerdem habe ich eine Weide, den sogenannten Tiergarten, in Benutzung, welche dem Lippefiscus gehört und der hiesigen Gemeinde für die Stelle gegen eine jährliche Pacht von 3, M. überlassen ist. Nach Erlaß des Pensionsgesetzes wurde die hiesige Stelle eingeschätzt wie folgt: Gehalt 1200, M., Wohnung und Garten , Ackerland , Summa  M., und außerdem beziehe ich 90, M. Alterszulage. Vor meiner Zeit hatten die Lehrer das Gehalt stets selbst eingezogen, auf meinen Antrag wurde mir dasselbe fortan aus der Gemeindekasse bezahlt.“ Lehrer Gaecks läßt sich am 1. Oktober 1910 pensionieren und verlegt seinen Wohnsitz nach Münster i. W., wo sein Sohn Wilhelm Eisenbahnsekretär ist.

Am 1. Oktober 1910 tritt der Nachfolger Lehrer Otto Mahlmann den Dienst an der evangelischen Volksschule in Krudenburg an.

Da durch die Betrachtung der kirchlichen und schulischen Verhältnisse nun aber der übrigen Schilderung unseres Dorfes bereits um über 100 Jahre vorgegriffen ist, muß hier erst die weitere Entwicklung in Krudenburg vom Ende des Siebenjährigen Krieges durch das 19. Jahrhundert hindurch nacherzählt werden.

 

 

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Krudenburg Geschichte

Sechshundert Jahre Krudenburg                             Heimatkalender 1964
von Kurt von Mallinckrodt 

Zugleich Streifzug durch die bewegte Geschichte unseres südöstlichen Kreisgebietes

Teil I: 1363 bis1680

Da im Jahre 1963 die Einwohnerschaft eines der kleinsten Dörfchen unseres Kreisgebietes gelegentlich ihres Schützenfestes einen festlichen Erinnerungstag seines sicherlich vielhundertjährigen Bestehens in dieses Dorffest einbezog, so mag im Heimatkalender wohl ein kurzer Rückblick auf die langjährige und früher recht bedeutsame Existenz des kleinen Lippedorfes am Platze sein.
Die „Historische Relation des Freyadeligen Hauses Crudenburg“ weiß um das Jahr 1730 zu berichten, daß der Name „Crudenburg“ herrühre von dem alten sächsischen Gott Crode (der auch dem „Kredebeck“ in Raabe’s Schüdderump den Namen gegeben), den die Westfälinger, da sie noch Heiden waren, in großer „Veneration“ (= Verehrung) gehalten, und haben ihm zu Ehren allerhand Monumenta (Burgen) aufgerichtet, daher Crodoburg; hernach freilich, bei eingeführten Christentum, hat man dafür gehalten, daß dieser Abgott, um desto mehr davon abzuekeln, einer Kröte ähnlich gewesen, worauf denn auch der Nachbarort Pedden-berg hinweiset. — Die Krudenburger, als die Nachkommen Crodos, des Krötengottes, heißen bis auf den heutigen Tag in der ganzen Umgegend „Kickföß“ (also Frösche), auch in dem Nachbarort Hünxe. — Den Namen Krudenburg aber erklärt man dort anders: Die Steine einer alten, am Ringwall bei Bergerscholt gelegenen Burg hätten die Krudenburger auf Befehl ihrer Herren auf Schiebkarren über die Lippe herangefahren, d. h. plattdeutsch „gekrüjt“. Daher habe man die neue Burg „Crujenburg“ geheißen.
Wie nun auch immer der Name zustande gekommen sein mag, er wird 1363 in einer Urkunde genannt, weil Rutger von dem Butzlar vom Grafen Johann von Kleve das Burghaus Crudenburg als Offenhaus gekauft hat; hierzu gehörte die Fischerei in der Lippe, die Wassermühle in der Lippe zwischen Crudenburg und Hünxe samt der zugehörenden Mahlgerechtsamkeit von einigen Höfen und dem Hünxer Kirchspiel, ferner die jährlichen Renten aus dem Hofe zu Drevenack und allem, was dazu gehörte; viele Flur- und Hofbezeichnungen werden in dieser Urkunde genannt, die uns teilweise heute noch bekannt erscheinen: Nyenwarte, Aap, Hof Willich, Hof toe Drawewinkel, Gut des Widendorn, Gut ther Hegghen, Gut tho Westerhusen, Diderichgut von Lachusen und Gesengut von Lachusen. Sie alle müssen jährliche Abgaben in unterschiedlicher Höhe von 4 bis 12 Malter Roggen oder Hafer, oder auch etliche Scheffel Erbsen aufbringen. Sogar die Mühle in Bislich muß 4 Malter Roggen an Crudenburg zahlen. Auch ist schon davon die Rede, daß der Käufer im gräflichen Walde das zum Zimmern der Mühle nötige Holz schlagen lassen dürfe. — Im Falle, daß der Graf diesen Besitz zurückkaufen will, hat er 1075 alte Schilde zu zahlen. — Im Jahre 1392 wird von dem Grafen von Cleve, der nun Dietrich v. d. Mark heißt, ein Ritter belehnt, dessen klangvoller Titel lautet: Ritter und Erbmarschall des Landes Cleve und Drost des Landes Dinslaken. Es ist der Ritter Goswin von Steck, auch Goswin Stecken genannt. Er erhielt zum erwähnten Besitz des Hauses Crudenburg noch hinzu das Gericht zu Crudenburg und Hünxe, die Accise und die Kirchengiften. Hinsichtlich der Kirche wird im Jahre 1395 noch ein besonderer Lehensbrief ausgestellt, auf dem das Patronatsrecht der Herren von Crudenburg über die Hünxer Kirche beruht. — Von nun an setzten die Herren von Crudenburg also in der Kirche zu Hünxe die Pastöre ein und waren auch die Herren von Hünxe. Die damaligen Hünxer Einwohner nennen sich selbst auch in allen Eingaben „die getreuen und gehorsamen Untertanen der Herren von Crudenburg“. — Für die Kirche von Hünxe haben Goswin von Steck und seine Erben viel getan. Sie gaben unter anderem den Zehnten von Drevenack, von Damm und von Bricht an die Kirche ab.
Der Drevenacker Zehnt brachte ziemlich viel auf. Hier möge ein Verzeichnis des Drevenacker und des Dammschen Zehnts folgen, wie er zur Zeit Goswin Stecks erhoben und alljährlich am Trotzenberg, in der Wirtschaft „Zum halben Mond“, vom Hünxer Kirchenvorstand in Empfang genommen wurde. Die Liste beweist nämlich zugleich, wie alt viele Familien hier sind. Zwar ist es wohl manchmal geschehen, daß ein Mädchen den Hof erbte; in solchem Falle nahmen die Kinder den Namen der Mutter an — und der Mann auch. Diese Fälle sind aber immerhin selten.
„Einkumpfte der Pasterei zu Hünxe von Seligen Ritter Stecken datirt:
Ins Swartstein jaers 11 schepel Roog, Bergmannshof 1 malter, der Suiler 3 spint, vom Schue-rehoff 10 schepel, S. Jehane Guith, uff den Schantzen 6 schepel, der Schraer 1 schepel, Holt-fort 1 schepel, von Loe 2 schepel, uht de Ganßbrey 1 schepel, Schult in gen Bonrat (Bunert) 3 schepel, der Bawmeister 1 malter, Bremer 3 schepel, Jan to luell 6 schepel, Hennemann von 2 Hoef 9 schepel, uff der Vikarien 2V2 schepel, Henrig to Luell 6 schepel, Schans 3 maider, Bonekamp 2 schepel, an gen Lucht 2 malter, Peyersguet, Schüringh 2 schepel, uht de Cerem-stuck 1 schepel, uht Damesgut 1 malter, In gen Elßen (Schüring) 2 schepel, unt 1 dtzd yeyer, unt een Deenst mit geveer, Drießenguet 6 schepel, noch in dem 3 spind, In gen Hoff Drevenack 2 malter, uht den schultenkamp 2 schepel, Schmittsguet 5 schepel, Winnter 3 spind, Hermann Rotten 2 schepel. Summa in Drevenack 30 malder 3 schepel 3 spint.Te Damm
Uht Brinkmannsguet 2 malter, Peter Langenfort 1 malter, Althoff 3 schepel, Scholt tho Westhaus, Westermann 1 malter, Barleken 2 schepel, uht des Herrn v. Schmitsguet 2 schepel, Scholt te Loeßen 9 schepel, uht Heinenguet 1 malter, Henrich Engelmans 1 schepel, uth Brui-kerkath 2 schepel, Jan ter Stege 2 schepel, Buischkamp 1 malter.“
Nach dem Tode des genannten Ritters Goswin von Steck besaß das Haus Crudenburg zunächst einige Jahre dessen Ehefrau Elisabeth von Steck, bis beider Sohn, wieder Goswin von Steck geheißen, die Herrschaft antrat und bis 1470 führte. — Zur Zeit dieser Ritter gab es seitens der verbündeten Bischöfe von Cöln, Münster und Osnabrück viele Fehden gegen Adolf V. von Cleve (1368—1394)- also gegen den Bruder des Herrn Dietrich, der Dinslaken regierte. — Unter dem Nachfolger Adolf VI. von Cleve (1394—1448), der auf dem Konzil zu Konstanz zum Herzog von Cleve erhoben war, wiederholten sich solche Kämpfe. Daher war es nur gut, daß Adolf VI. seine Städte Wesel und Schermbeck befestigte; indessen für die Höfe der hiesigen Gegend wirkte sich das weniger gut aus, denn bei ihren Rachefeldzügen mieden die gelehrten Herren Bischöfe die Städte und hielten sich an den Bauern schadlos. Die Herrschaft Dinslaken, also auch Hünxe und Krudenburg, sind damals von den Kölnischen furchtbar geplündert worden, und mutwillig wurde den Bewohnern die Ernte vernichtet. — Unter dem Herzog Johann I., dem Schönen, 1448—1481, wiederholte sich dieser Rachefeldzug des Erzbischofs noch einmal in der Soester Fehde. Diesmal muß es noch schlimmer gewesen sein, denn Dinslaken, Hiesfeld und andere Orte wurden durch Feuer vernichtet. Auch Wesel sollte einen Denkzettel erhalten, aber der Bischof konnte es nicht bezwingen. — Die Herrschaft Dinslaken hat unendlich viel unter den kölnischen Erzbischöfen zu leiden gehabt, daher ist sie auch später so einheitlich zur Reformation übergetreten, und bildet mit dem Südteil des Kreises Rees noch heute eine evangelische Glaubensinsel. Unstreitig gehörte auch Gahlen zur Herrschaft Dinslaken, denn Dietrich von Dinslaken hat 1392 den Hof Gahlen an Ard Schulten und seinen Sohn Gerd zu Lehen gegeben. Über die damalige Einwohnerzahl von Hünxe und Krudenburg lassen sich bestimmte Angaben nicht machen. Jedenfalls hatten beide Orte damals für einen Richter genug Beschäftigung. Goswin von Steck setzte Heinrich Mengenberg zum Richter ein, der wahrscheinlich seinen Sitz in Krudenburg hatte, da die späteren Richter auch hier wohnten. Für den Hün-xerwald mußte schon 1408 eine Waldordnung, eine sogenannte Waldbill, erlassen werden, da man sonst befürchten mußte, der Wald würde zugrunde gerichtet werden. Den besten Beweis für die Bevölkerungsdichte dürfte die Kirche in Hünxe sein.
Sie ist nicht für eine kleine Gemeinde gebaut. In der damaligen katholischen Zeit bot diese Kirche, weil Sitzbänke fehlten, der doppelten Besucherzahl Raum. Sie hatte einen Pastor und vier Vicarien. Diese waren: St. Maria, St. Georgi, St. Antoni und St. Anna. Der Vicar von St. Maria war zugleich Schloßkaplan von Krudenburg.
Nachdem der letzte Herr aus dem Geschlechte der von Steck 1470 gestorben und seiner Frau, Karda von Gemen, das Haus Crudenburg geschenkt hatte, kam es durch Heirat dieser Witwe an die Herren von Holstein-Schauenburg, welche durch sieben Generationen bis zum Jahre 1641, und zwar in den ärgsten Kriegszeiten der Glaubensstreitigkeiten, die Besitzer von Krudenburg waren. — Nachdem der Kölner Erzbischof Hermann von Wied wegen seiner Neigung zur protestantischen Lehre vom Papst gebannt und vom Kaiser geächtet war, folgte ein Adolf von Schauenburg als Erzbischof. Vermutlich derselbe Mann, der auch 1572 als Besitzer des Hauses Krudenburg genannt ist. Nach diesem wurde Gebhard Truchseß zu Waldburg Erzbischof von Köln. Der trat auch zur protestantischen Kirche über und wurde natürlich auch abgesetzt. Ein erster Glaubenskrieg setzte nun im Jahre 1583 ein zwischen diesem abgesetzten Erzbischof und dem vom Papst neu eingesetzten Ernst von Baiern. Letzterer suchte Hilfe bei den spanischen Truppen des Herzogs Alba, während die Grafen von Mors und Cleve dem Truchseß Hilfe leisteten. Auch die protestantischen Holländer unter Mauritz von Oranien traten in diesem als Truchseßkrieg bekannten Streit in dieser Gegend auf. Ein erstes spanisches Heer unter Montdragon kam mit 6000 Mann Fußvolk und 1200 Reitern bei Orsoy über den Rhein, bezog zunächst für einige Tage ein Lager zwischen Wesel und Bislich und danach für einen Monat bei Unter-Emmelsum. Damals versuchte Moritz von Oranien einige spanische Reitertrupps, die zum Futterholen zu den einzelnen Bauernhöfen weit im Lande umherschweiften, abzufangen. Er sandte den Grafen Philipp von Nassau mit 520 Reitern bei Krudenburg über die Lippe und durch Hünxe in die Spellener Heide. — Montdragon aber hatte wohl von dem Plan erfahren, legte sich mit 1000 Mann Fußvolk in der Heide in einen Hinterhalt. Einen weiteren Teil seiner Mannschaft stellte er bei Stockhem zwischen Hecken und Sträuchern in Schlachtordnung auf. Der Überfall auf der Heide gelang vollkommen. Graf Philipp und Graf Ernst von Solms wurden schwer verwundet und nach Rheinberg in Gefangenschaft gebracht, wo beide ihren Wunden erlagen. Ihre Leichen wurden im holländischen Lager zu Bislich abgeliefert und später in Arnheim begraben. 1586 kamen die Spanier mit einem starken Heere unter dem Herzog von Parma wieder.

Dieser verfolgte den Plan, die Ketzer auszurotten — und danach verfuhren seine Leute denn auch. Die Stadt Wesel wurde vier Jahre belagert, 1586—1590. Während dieser Zeit wurden die umliegenden Ortschaften, darunter Krudenburg, häufig übel heimgesucht. Viele Landbewohner hatten sich nach Wesel geflüchtet, die Felder lagen wüst, und auf den Landstraßen trieben sich Räuberbanden umher. — Im Wesel entstand bald schlimme Hungersnot — und darauf brach die Pest aus. 13 000 Menschen sollen damals in Wesel umgekommen sein. — Der damalige Vicar und spätere Pastor Regnitanus aus Hünxe floh zum Schloß Gartrop, denn er vermachte später dem Herrn Albrecht von Hüchtenbruch den gesammten Dammschen Kirchenzehnt als Erkenntlichkeit „Bey dere Hispanisch-Parmaschen Gemeinen Vatterlands vieljährigen erbärmlichen und weltkundigen höchst betrauerlichen und gefährlichen Ravastatio-nen erwiesenen und geleisteten Hospitalität und christlicher mitleidentlicher gutherziger Wohltaten.“ — Regnitanus war wohl damals gleichzeitig Schloßkaplan von Gartrop und deshalb nach Gartrop geflohen. Auch das Haus Crudenburg wird voller Flüchtlinge gelegen haben. — Als endlich die Holländer die Stadt Wesel und die Umgegend von den Spaniern erlösten, währte die Ruhe nicht lange. Die katholischen Räte des schwachsinnigen Herzogs Johann Wilhelm (1592—1609) sahen ihre Aufgabe darin, die in vielen Städten und Dörfern der hiesigen Gegend bereits eingeführte Reformation wieder rückgängig und das Land wieder katholisch zu machen. — Erst kamen 1597 die Armeen der Holländer von der anderen Rheinseite von der Verfolgung der Spanier zurück und zogen an Wesel vorbei über Brünen und Bocholt nach Grell. Darauf besetzten die Spanier unter dem General Franz de Mendoza mit 30 000 Mann beide Rheinseiten wieder. In Orsoy müssen sie sich so schändlich betragen haben, daß die reformierte Bevölkerung bei dem Herzog von Cleve bloß um die Freiheit bat, den Ort mit Weibern und Kindern unter Hinterlassung ihres ganzen Vermögens verlassen zu dürfen. — Außerdem verließen die Spanier haufenweise die Fahnen, weil sie keinen Sold bekamen, und sie wurden zu einer wahren Landplage. — Vielfach sandte Mendoza auch Truppen eigenst zu dem Zwecke aus, die evangelische Bevölkerung zu peinigen. Außer Dinslaken und Wesel werden in diesem Zusammenhang die Orte Brünen, Dingden und Bocholt genannt. In Bocholt entehrten sie die Tochter des Bürgermeisters an der Leiche ihres ermordeten Vaters. So verfuhren sie zu Dülmen mit der Frau des dortigen Richters, — und die Nonnen des adligen Stiftes Schiedenhorst traf dasselbe Schicksal. — Für die hiesige Gegend wurde die Besetzung von Dinslaken und das Hauptlager der Spanier bei Bislich Landplage genug. Wer noch einen sicheren Aufenthaltsort wußte, floh dorthin. Herzog Wilhelm verkaufte in dieser Zeit mehrere dem Staat gehörenden Kathstellen in Gartrop an die Gräfin von Hüchtenbruch. Man darf wohl annehmen, daß die Domänenpächter geflohen waren. — Ganz lange scheint sich Mendoza aber nicht hier aufgehalten zu haben, wenigstens nicht über ein Jahr. — Aber im Jahre 1606 kam ein viertes spanisches Heer unter Spinola, das sich längere Zeit bei Ruhrort aufhielt und danach bei Dorsten die Lippe überschritt, um nach Holland zu ziehen. — Wie eine Himmelsbotschaft erscholl 1609 die Nachricht, daß zwischen Spaniern und Holländern der Friede zu Antwerpen geschlossen sei. — Aber Ruhe wurde unseren klevischen Landen nur wenige Jahre. — Als nämlich Johann Wilhelm von Cleve 1609 kinderlos gestorben war, kamen in der hiesigen Gegend zu den Kämpfen um den Glauben noch die Erbstreitigkeiten mehrerer Erblustiger um das schöne Land am Niederrhein hinzu. Die Reformation in der Hünxer Kirche ist 1563 nach der Vorschrift der pfälzischen Kirchenordnung erfolgt. Als nämlich 1667 ein Presbyterium eingeführt wurde, heißt es in dem Protokoll: „man hat aus anlaß und Verordnung der Kirchenordnung des weiland Hochgeborenen fürsten und Herren, Herrn Wolfgang, Pfalzgrafen beyn rhein und Hertzogen zu peiern im Jahre 1563 hiesige Lutherische Kirche eingeordnet.“ — Die Spanier werden allerdings verschiedentlich die evangelischen Geistlichen wieder vertrieben und katholische eingesetzt haben, denn sie führten stets viele Priester, Mönche und Jesuiten in ihren Heeren mit. — Vom Jahre 1608, als Pastor Regnitanus eingesetzt wurde, hat sich folgende Notiz gefunden: „Um diese Zeit ist zu Hünxe zuerst die protestantische oder evangelische Lehre daselbst eingeführt und zwarn auf Specialbefehl der gnädigen Herrschaft.“ (Graf Ernst von Schauen-burg 1605—1633). Jedenfalls wurden nach anderen Urkunden bereits 1598 Sitzbänke in der Kirche angebracht, was in katholischen Kirchen nicht üblich ist. Weiter wurde schon 1603 Holz aus dem Hünxer Wald für „die scholen“ (Schule) geholt. — Die katholische Kirche gründete in Dörfern keine Schulen. Der Pastor Regnitanus floh 1586 vor den Spaniern nach Gar-trop. Als katholischer Priester hätte er nicht zu fliehen brauchen. Er berichtete auch persönlich auf der Dinslakener Synode vom 8. bis 18. September 1612, daß in Hünxe „bei 50 Jahr die Confession in schwang gegangen ist, welche zwei seiner antecessoren (Vorgänger) auch profitiert“.
Der Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg und der Pfalzgraf von Neuburg, welche beide Erbansprüche auf das clevische Land hatten, waren so klug gewesen, sich im Jahre 1614 dahin zu einigen, daß sie gemeinschaftlich die Regierung führen wollten. Denn sie merkten, daß der Kaiser auch auf die Erbschaft lauerte. — Trotz dieser Einigung kam schon 1614 wieder ein gewaltiges spanisches Heer vor Wesel an. Bei dem Heere befand sich auch der wieder katholisch gewordene Pfalzgraf von Neuburg. Schon nach drei Tagen ergab sich die Stadt. Gouverneur wurde Don Juan de Gonzalez. Die Greuel von 1585, 1586—90 und 1598 wiederholten sich nun doppelt. Schwere Abgaben mußten bezahlt werden, Äcker und Gärten wurden verwüstet, die Kornfelder verheert, Obstbäume wurden umgehauen und ledige und verheiratete Frauenspersonen mißhandelt — so klagt die Chronik von Wesel —, und das Ende des Krieges war noch lange nicht abzusehen.
Vier Jahre nach der Besetzung Wesels durch die Spanier entstand der allgemeine Weltbrand, welchen man als den Dreißigjährigen Krieg bezeichnet. Die Spanier hatten aber ja schon angefangen, sie waren und blieben hier, auch Dinslaken besetzten sie noch. — Im Jahre 1625 kam eine Armee unter Christian von Braunschweig (der „Tolle Christian“ genannt) über den Rhein, um gegen die Spanier zu kämpfen. Ihm folgten gleich wieder eine spanische Armee unter dem Grafen von Anholt, die das Lager des Tollen Christian zu stürmen und ihn zu vernichten suchte. Der Sturm wurde abgeschlagen und der Feldherr des Heeres der evangelischen Fürsten, also des Unionsheeres, der Graf von Mansfeld, erschien selbst hier in der Gegend, um dem Braunschweiger gegen die Spanier beizustehen. Als dann aber auf der katholischen Seite noch der Feldherr Tilly im Jahre 1628 seine buntscheckigen, zerlappten und zerlumpten Haufen hierherbrachte, da war die hiesige Gegend so voller Lappen und Lumpen, daß jeder Einwohner hätte können einen Lumpenhandel anfangen. Hier ist das Verderben dieses großen Krieges auf seinem Gipfel. Die Söldner waren ja schon längst keine Menschen mehr, aber auch bei den Einwohnern gewann die tierische Natur des Menschen ein so schweres Übergewicht, daß lange nach dem Kriege das richtige Verhältnis der beiden Mächte im Menschen kaum wiederhergestellt werden konnte. — Diejenigen Leute, welche flohen, gingen meistens im Kriegsstrom unter. — Tilly war vom Kaiser geschickt worden, um das clevische Land zu erobern, denn der Kaiser wollte mit aller Macht auch Erbe sein. Mansfeld und Christian wurden von Tilly so in die Enge getrieben, daß sie nach Lübeck abzogen. — Die Holländer hatten seit dem Spanischen Kriege noch immer Rees und Emmerich besetzt. Tilly versuchte sein Glück vor beiden Städten, konnte aber keine erobern, da die Holländer sie gut verteidigten. Zuletzt zog er ab. — Danach nahmen die Holländer den Spaniern Dinslaken ab und erbeuteten 220 Pferde. Im Jahre 1629 gelang es den Holländern dann auch, die Festung Wesel zu erobern und die spanische Besatzung samt dem Gouverneur gefangen zu nehmen. An dieser Befreiung haben drei Weseler Bürger wesentlichen Anteil, weil sie dem Kommandeur der Holländer in Emmerich Nachricht zukommen ließen, daß in der Festungsmauer zur Zeit ein großes Loch sei, durch das man in Wesel eindringen könne. Daß es aber selbst einem befreundeten Kommandeur schwer wurde, seine Leute vor vielfachen Ausschreitungen zurückzuhalten, geht aus einem Schutzbrief hervor, welchen Otto von Gert als Kommandeur der Festung Wesel einigen Bauern in Bucholt-Welmen ausstellen ließ. Der Brief ist im Mai 1633 ausgestellt und befindet sich noch im Besitze der Familie ter Heesen in Bucholt-Welmen. Es wird darin allen Offizieren, Inspektoren und Soldaten seines Heeres bei Todesstrafe verboten, auf den Höfen des Scholt te Ree, Maaß te Heesen, Jan Lindekamp, Gerd Stede, Hendrich Beckmann, Wilhelm op dem Rühl, Gert Has, Overland, Bernhard Storm irgendwelche Requirierung durchzuführen oder sie auch nur im geringsten zu belästigen oder gar zu schädigen. — Der Stadt Wesel ging es zwar von nun an besser, aber das umliegende Land hat noch manches Kriegsheer der Kaiserlichen und der Schweden sehen müssen. Dazu kamen noch die Abgaben an Kriegskontributionen und Steuern für das eigene Land.
Für alle Länder kam 1648 der Friede, — allein für die clevischen Länder noch nicht, denn die holländische Besatzung blieb auch noch nach dieser Zeit in Wesel, und der Erbschaftsstreit war noch immer nicht entschieden. — Im Hause Krudenburg war 1641 ein Graf Alexander von Vehlen vom Großen Kurfürsten als Lehensmann eingesetzt worden, weil er die Witwe des letzten Herrn von Holstein-Schauenburg, Elisabeth, geheiratet hatte. Er verordnete 1656 seiner Gemahlin das Haus Krudenburg als Witwensitz. Bis zum Jahre 1683 sind nacheinander drei Grafen von Vehlen die Herren von Krudenburg. Dann wird von kurfürstlicher Durchlaucht wegen seiner Gemahlin, Anna Magdalena Gräfin von Vehlen, ein Weseler General, Johann Sigismund, Wilhelm Freiherr von Heyden, mit Krudenburg und Schwarzenstein belehnt. — Das bedeutsamste Ereignis aus dessen Herrschaftszeit scheint wohl ein langjähriger Streit zwischen dem Hünxer Kirchenvorstand samt den Pastoren der hiesigen Synode einerseits und dem Freiherrn als Kirchenpatron und vermeintlichem Alleinherrscher über die Hünxer Kirche gewesen zu sein. Es ging um die Pastorenwahl für die Hünxer Gemeinde, die infolge solcher Streitereien vier Jahre ohne Pastor blieb. (Dieses Geschehnis ist im Heimatkalender für den Kreis Rees vom Jahre 1963 eingehend beschrieben.)
Hier mag aus der Zeit um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts kurz auf die Leiden unserer Heimat unter neuen Kriegen hingewiesen werden. a666 war Friede geworden. Am 8. September 1667 fand in Wesel die Huldigung für den neuen Herrn des Landes, also den Großen Kurfürsten, statt. Da er selbst nicht nach Wesel kommen konnte (in Cleve war er persönlich gewesen), sandte er den Landesmarschall Wilhelm Karl von Quadt zu Rodelöw und Wilhelm von Elverich, genannt Haes, als seine Vertreter. Nach der Huldigung wurde die Deputation mit Ehrengeleite und Posaunen- und Zinkengetön bis an die Peddenbergsche Heide bei Drevenack geleitet, und der Zug ging nach Schermbeck und darauf nach Dins-laken. — Trotz des nunmehrigen Friedens blieb die holländische Besatzung noch in Wesel bis zum Jahre 1672, wo sie von den Franzosen abgelöst wurde. — Denn so begann hier der Raubkrieg der Franzosen. Schon 1670 erschienen zunächst kleinere Plünderungsabteilungen der Franzosen, und das Hünxer Kirchenarchiv wurde schleunigst nach dem festen Schlosse Krudenburg gebracht. — Die Gegend war so unsicher, daß die Bewohner von Bruckhausen nicht mehr zur Kirche kommen wollten. Daher hielt Pastor Wilhelm Bönneken Gottesdienst in der Kapelle von Bruckhausen. Am 1. Juni 1672 erschien ein großes Heer der Franzosen vor Wesel unter dem Prinzen von Conde. Die nur 1500 Mann starke holländische Besatzung verteidigte die Festung nicht lange, — und schon am ersten Pfingsttag zogen die Franzosen in Wesel ein. Die Holländer wurden zunächst in der Willibrordikirche eingesperrt und erhielten bald freien Abzug nach dem Lager des Prinzen von Oranien bei Godegraven.

Dieser Prinz setzte die Offiziere als ehrlos ab, und ein Hauptmann wurde sogar enthauptet. Es ist noch zu bemerken, daß in diesem Krieg die beiden Bischöfe von Köln und Münster im Bunde mit den Franzosen waren. Der Große Kurfürst kam nach Westfalen gezogen, um sein Land zu verteidigen. Ihm zog ein noch größeres Heer unter Turenne entgegen, welches auch an Wesel vorbei kam und durch die hiesigen Dörfer nach Westfalen zog. Der Kurfürst mußte sich mit seinem schwachen Heer nach Minden zurückziehen, und nun war der Erzbischof von Münster am Platze, nahm Lünen und Ravensberg und belagerte Bielefeld. — Da die Franzosen nun in Wesel festsaßen, hatten die umliegenden Dörfer wieder viel zu leiden. Das beweist unter anderem ein Schriftstück der Bauerschaft Hünxe an ihren Krudenburger Herrn, Graf Ewald von Vehlen: „Ew. Hochgräfliche Excellenz Unterthänige gehorsame sämtliche eingehörige der Bauerschaft Hünxe“ bitten darum, ihnen durch den Förster Erlenhagen in Krudenburg aus dem Hünxer Wald etwa sechs Fuder Heistern anzuweisen, um mit dem Holze den Kirchhof um die Hünxer Kirche zu einem befestigten Fluchtraum wieder auszubauen, weil die Mauer an mehreren Stellen arg zerfallen und der Platz nicht mehr im verteidigungsbereitem Zustand sei. — Graf Ewald von Vehlen bewilligte die Heistern, riet aber dabei, weil die Garnison von Wesel alle Früchte in der ganzen Umgegend abschneiden würde, die vom Gouvernement vorgeschlagene Kuhsteuer schleunigst zusammenzubringen und von dem Pastor abliefern zu lassen, damit ihrer Früchte und ihres Viehes geschont würde. — Der Friedhof wurde befestigt, und sobald ein herannahender Feind von den allenthalben ausgestellten Wachen gemeldet wurde, zog alles auf die Totenstatt. 1673 schloß der Große Kurfürst mit Frankreich den Frieden von Voßem, wodurch er wieder in den Besitz seiner Länder kam, aber Wesel und Rees blieben in den Händen der Franzosen. Die zurückgebliebenen Garnisonen konnten nun so recht ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Brandschatzen, nachgehen. Von 1673 findet sich schon eine Brandschatzungsordre für Hünxe im Archiv. 1676 wurde ein Stück Gemeindeland an Henrich zu Heesen verkauft, weil „in diesem laufenden Jahr am 4. Juli in dieser Gemeinheit ist angeschlagen eine Brandschatzung für die Franzos, welche Schätzung innerhalb wenigen Tagen bei Strafe würklicher Execution hat müssen bey-gebracht werden, aber wegen allerhand große Beschwerden, so täglich einfallen, auch lauf-fende Landesfürstliche Schätzung, zu solcher Brandschatzung Mittel unmöglich beyzubringen geweßt“. 1678 am ersten Pfingsttage, als die Leute in der Kirche waren, kam ein großer Trupp Franzosen nach Hünxe hinein und „hat die Leute am Gottesdienst gehindert“. — Mit leeren Händen sind sie gewiß auch nicht abgezogen. Das schlimmste Jahr mag aber wohl das Jahr 1679 gewesen sein. Es heißt nämlich darüber in einem Schriftstück etwa, daß die Franzosen hier in diesem Land von Cleve dermaßen mit Schätzen und Brandschatzen gehaust hätten, daß es die Leute nicht mehr hätten aufbringen und beibringen können. Darum sei von Cleve der Befehl gekommen, aus dem Gemeindeland soviel zu verkaufen, wie man könnte, damit die Gelder beigebracht würden. Es liegen noch etliche Quittungen über erhaltene Unterhaltungsgelder für die französischen Truppen in Wesel im Archiv der Hünxer Kirche mit Unterschriften mehrerer französischer Offiziere. Am 19. Mai 1679 schreibt ein Michel du Monceau, Intendant der Armee des Königs in den Ländern Jülich und Cleve, daß er für Unterhaltung der Truppen, welche zu Holten in Garnison gestellt sind, von den Einwohnern und Geistlichen des Amtes Schermbeck 787 Livres und 5 sols fordere, die innerhalb von 19 Tagen mit aller Strenge, welche der Krieg mit sich bringt, beigebracht werden müßten. Am 1. Juni 1679 bestätigt ein B. Nauet, daß er 40 livres und ? sols empfangen habe. Am 3. Juni 1679 gibt ein gewisser Bricault aus Wesel die Quittung über 64 livres einen stüber an den Pastor und Vicar zu Hünxe. — Als dann 1679 der Friede von St. Germain mit Frankreich geschlossen wurde, zogen Ende des Monats Februar 1680 die Franzosen von hier ab.

Die Krudenburger Lippefähre um 1930

 

Sechshundert Jahre Krudenburg                     Heimatkalender 1965
Kurt von Mallinckrodt

1. Fortsetzung

Wenngleich die Häuserzahl des Dorfes sich in den 600 Jahren seiner Geschichte kaum geändert hat, so hat es doch um die Wende zum achtzehnten Jahrhundert — also um die Zeit, in welcher die Schilderung im vorigen Heimatkalender endete und in welcher auch der im Heimatkalender 1962 beschriebene Streit um die Pfarrerwahl in Hünxe stattfand wesentlich anders ausgesehen als heute.
Der Chronist, Herr Lehrer Gaecks aus Krudenburg, hat sich um das Jahr 1880 recht dankenswerte Mühe gegeben, eine Vorstellung des Dorfes zu vermitteln, wie es sich dem Betrachter vor etwa 200 Jahren darbot. Er schreibt:
„Beginnen wir die Umschau in Crudenburg an der Fähre. Eine Brücke ist noch nicht da. Es wird auch mit der ,Ponte‘ übergefahren, der Fährmann wohnt diesseits in einer kleinen Hütte und schenkt gegen Bezahlung Wacholderwasser aus. Das Fährgeld kostet 1/2 Stüber oder 1 Fettmännchen, nach unserem Gelde 2 Pfennig; es hat sich also bis heutigen Tages auf derselben Höhe gehalten. Geht man an der Lippe abwärts, so sieht man dieselben elenden Hütten wie in Hünxe, also Fachwerkhäuser, die mehr schief als gerade stehen. Sie sind meist aus Eichen-, manche aber auch aus Kiefernfachwerk gebaut. An den Balken, besonders über der Tür, sind fromme Sprüche eingeschnitten. Das Fach ist ausgefüllt mit Lehm, der mit Stroh durchknetet und um Stangen geflochten ist. Bei manchen Häusern ist das Fachwerk auch schon mit Steinen ausgemauert, die vielleicht aus Gartrop-Bühl bezogen sind. Das Hundert davon kostete 15 Stüber, also 60 Pfennige. Die Dächer sind zum Teil mit Stroh, zum Teil aber auch schon mit Pfannen gedeckt. Der Preis der Pfannen ist pro Hundert 10 Stüber am Pfannenofen zu Bühl. Jedes Haus hat zweiteilige Türen — und zwar die zwei Halbtüren übereinander, denn man weiß nicht, wie man anders Licht in die Küche bekommen soll. Die meisten Leute können kein Glas für die Fenster kaufen, da es noch zu teuer ist; und geöltes Papier, das sich noch in den Fenstern fast aller Häuser befindet, läßt wenig Licht durch. (Noch 1658 kostete ein Glas für ein Schulfenster, welche doch sehr klein waren, x Thaler 7 Stüber). Würde man aber eine einfache Tür haben und ließe sie des Lichtes wegen offen, so wäre im Umsehen die ganze Küche voller Säue, denn diese liefen herdenweise auf der Straße umher. Aus den angeführten Gründen mußte die untere Tür zu und die obere offen sein. Der Tür gegenüber ist in der Küche an der Erde der Feuerherd, über welchem an einer langen Kette der Kessel hängt. Der Rauch zieht durch ein großes, viereckiges Loch, welches sich über der Tür befindet. Zu beiden Seiten des Feuers sind zwei eiserne Stangen, welche auf vier Füßen ruhen. Sie werden Feuerruten (Füerrungen) genannt. An diese stellt man Holz und auch Torf zum Trocknen. Beim Feuer ist auch eine Feuerzange und ein Blasrohr. Zu beiden Seiten der Küche liegen zwei matt erleuchtete Wohnstuben — denn geöltes Papier ist lange kein Glas. In den 5tuben odei ,Kamers‘ standen keine eisernen Öfen, sondern Kachelöfen; in ärmeren Häusern bestanden dieselben auch bloß aus Mauersteinen. Noch 1657 wurde in die Schule ein ,Kachelabend‘ gesetzt, welcher 5 ,Dahler‘ kostete, und 16S0 kommt der erste ,eyserne Ofend‘ hinein. — Vor der jetzigen Schule steht einige Schritte vor dem Hause eine Linde. Dort teilt sich die Lippe in zwei Arme. Der linke wird genannt, die Schläge‘; weil durch denselben Schläge gelegt sind, damit das Wasser mehr dem anderen Arm zugeführt wird, denn auf diesem liegt die Mühle. Auf dieser Seite des Hafens stehen noch einige Pfähle als Überreste von der Mühle. In B!en-senhaus ist Wirtschaft, der Wirt heißt Piethan. Bei ihm ist nicht allein Wacholderwasser und Bier, sondern auch Wein zu haben, (Vermutlich handelt es sich um das bis 1945 noch erhaltene älteste Haus von Krudenburg aus dem Jahre 1601, das den heutigen Krudenburgern als ,Schniers-Haus‘ bekannt ist. Anm. des Verfassers.) Geht man den von unzähligen Schweineschnauzen zerwühlten Weg nach Drevenack hin weiter, so liegt hinter dem Graben in Royers Garten auch noch ein Haus, in welchem zuletzt noch Lehmschlöter gewohnt hat. — Weiterhin nach Drevenack, wo die Chaussee das Knie bildet, befindet sich eine Brücke, durch welche ein anderer Lippearm fließt, der auch dem Wallgraben des Schlosses das Wasser zuführt. Auf dem Rückwege bemerkt man nebenan Hausemann (später Krechter), in Royers Garten auch noch ein Haus und in Hausemanns Garten ebenfalls eins. Neben Schreiner Krebbers Haus, in Benninghoffs Garten, liegt die Schmiede, daneben steht die Dorflinde, bei welcher die Jugend meist spielt. Hinter der Schmiede befindet sich noch ein ganz langes Gebäude, und darauf folgt der Wallgraben. An der Dorflinde vorbei geht die Auffahrt zum Schlosse. Die Brücke über den Wallgraben hat in späterer Zeit aus drei Bogen bestanden, an der anderen Seite des Grabens folgt das Tor, und daran schließt sich zu beiden Seiten die Mauer. Auf dem Schlosse wohnte meistens der Rentmeister, der Gärtner pp., denn die Herrschaft hatte ja immer noch andere Besitzungen, auf welchen sie sich aufhielt. Die Dorflinde ist leider im Jahre 1844, bei dem großen Brande, mit verbrannt. Der Linde gegenüber, an der anderen Seite der Auffahrt zum Schlosse, stand ein Wirtshaus. In diesem Hause wohnt um 1660 der Waldförster Erlenhagen. Er ist Förster für den Hünxer-Wald, und wenn jemand Holz aus dem Wald haben will, so muß Erlenhagen es erst anweisen oder durch einen seiner beiden Waldknechte anweisen lassen. — Dann folgt Schwanen-Haus und so geht es weiter die Straße entlang zur Fähre. Linksab gelangt man auf den ,Dudel, und dann kommt man auf den Weg zum Mühlenkamp. Dieser Weg ist abgesperrt durch eine drehbare Hecke, damit die im Dorf frei umherlaufenden Schweine nicht in das Feld kommen können. Diese Hecke stand noch 1749, in welchem Jahre sie in einer Rechnung genannt wird. Es heißt: ,Adam den Müllenkamb zugemacht 15 stüber und Hindrich Schölten am Müllenkamp einen neuen Heckenpost vor die Herrschaft eingesetzt, dazu ein ort fuhsel bei mir hollen lassen 3 stüber.‘ — Am anderen Ende des Dorfes, nach Drevenack zu, muß sich dann gerade so eine Hecke befunden haben.
So war der Ort dermaßen abgeschlossen, daß die wilden Untiere, als Wolfe, nicht hinein und die zahmen nicht hinauskonnten.“ Diese vor 80 Jahren niedergeschriebene Schilderung wird den Zeitgenossen des Chronisten verständlicher gewesen sein als den heutigen Dorfbewohnern. Darum mag hier ein Dorfplan aus dem Jahre 1820 mit den vom Chronisten erwähnten Namen dem besseren Verständnis dienen.

DORFPLAN VON 1820


Sodann beschreibt der Chronist folgendermaßen die damalige Tracht der Krudenburger. „Alt ist das Bestreben bei den Menschen, größer zu erscheinen als sie wirklich sind. Deshalb trugen schon die alten Deutschen Hörner und Flügel an den Köpfen, und bei den neuen Deutschen hat sich das Großseinwollen noch gesteigert. Einzig aus diesem Grunde ist die Kopfbedeckung zu erklären, nötig ist sie ja nicht, denn die Natur hat hinreichend für Schutz des Kopfes gesorgt. Die Vorfahren trugen also gerne was Großes auf dem Kopfe. Die Frauen hatten an den Wochentagen sogenannte „Nebelkappen“ auf von roter oder von gelber Farbe, die mehr einer Hufkarre als einer Mütze glichen. Der Rand war recht weit nach außen gerichtet. Dieses Ungetüm wurde den Frauen am Hochzeitstage zuerst aufgesetzt. Die Kopfe der Mädchen — von dem größten bis zum kleinsten — wurden in eine enganschließende Mütze gezwängt, wie sie die Frauen jetzt noch tragen. Des Sonntags kamen die Frauen mit schwarzen Hüten von demselben Kaliber heran. In der letzten Zeit waren diese aus Stroh gemacht, früher bestanden sie wahrscheinlich aus Zeug. Der Oberkörper war bei den Frauen mit einer ,Siele‘ bekleidet, meist schwarz, aber recht bunt besetzt, rot oder blau. Der Stoff, welcher zu den Sielen gebraucht wurde, hieß ,Bombasin‘. In Wesel war eine Bombasin-Fabrik, und jeder bezog daher seinen Bedarf. Es gab Bombasin in Seide, Wolle usw. Die Siele, auch ,Hemb-siele‘ genannt, hatte nur ganz kurze Ärmel, besondere Ärmel, ,Mauen‘ genannt. Die Sielen wurden mit einer roten Schnur vorne straff zusammengeschnürt. Meine man nicht, daß die damaligen Frauen auf eine Taille nichts gaben — sie zwängten sich ein mit dem sogenannten ,RayliefP, welches unter der Siele getragen wurde. Nach Ausweis der Rechnungen kaufte man für die Frauen im Armenhaus sogar ,Rayüeffkes. — Die modernen Kleider waren recht lang, und die Farbe schwarz oder blau. Oft kommt die Bezeichnung ,Deßrock‘ vor, die ich mir nicht erklären kann. (Vermutlich aus dem Französischen dessous = darunter, eingeschleppte Bezeichnung für ,Unterrock‘. Anm. des Verfassers.) Die Schürze fehlte natürlich auch nicht. Die Strümpfe waren aus Tuch oder Leinen genäht, nicht gestrickt, und wurden vom Schneider gemacht. Von Klumpen kann aus dieser Zeit nichts angegeben werden, da sich keine Notiz darüber gefunden hat. Man ist versucht, sie für eine Erbschaft der Revolution zu halten, ebenso wie die blauen Kittel. Klumpen wurden erst Ende des 18. Jahrhunderts genannt. Auf Schuhen mit hohen Absätzen schritten die Frauen daher. Das Leder wurde selbst gegerbt, und jede Familie nahm den Schuhmacher ins Haus und trug billige Schuhe trotz der hohen Absätze. Dieses Vergrößerungsmittel bestand in einem Holzklotz, welcher mit Leder überzogen war. — So eine fertige Frau war auch noch nicht ganz billig. Hier die Preise von 1657: ,Eine blaue Siele neben eine neue swarte Hembsiele (die woh! noch unter der ersteren getragen wurde) gekauft, 7 Thaler mit Macherlohn.‘ Weiter steht geschrieben: ,Auf Befehl des Herrn Pastors und Anhalten des Herrn Waldforsters haben wir ein Medgen in den Cru-denburg ein blauen Rock gekauft, eine rode Hembrock (Unterrock), ein bombasinen Ray-lieff, ein paar blaue hoesen (Strümpfe), 8 thaler 29 Stüber.‘ — Ferner: ,Ein swarte leinen Schorte 1 Thl. 24 st.‘ und ,Ein paar Schuhe gekauft 1 Thl. 3 st.‘ Das macht in Summa 18 Thaler 26 Stüber, und die Nebelkappe und der Sonnenhut sind noch nicht einmal mitgerechnet.

Dazu wird für die Armen auch wohl nicht das Beste gekauft worden sein. — Nun zu der Männertracht. Man denke sich einen Mann mit einem breitkrämpigen schwarzen Filzhut, langen blauen Rock mit einem kurzen Stehkragen und einer dichten Reihe blanker Knöpfe, kurzer Kniehose mit Schnallen an jeder Seite, langen blauen Strümpfen und Schnallenschuhen, so hat man das Bild eines Vorfahren, der des Sonntags zur Kirche gehen will. Unter dem Rock wurde noch eine Weste getragen. — Bei der Arbeit war natürlich der lange Rock und der große Hut zu unbequem, und dann vertrat eine kurze Schoßjacke den Rock und eine PIüm-Mütze den Hut. Die Knaben liefen auch alle mit Plüm-Mützen umher, und die kurze Jacke war auch ihr Erbteil. Viele setzten die beliebte Plüm-Mütze Tag und Nacht nicht ab, aßen und schliefen damit. Vereinzelt hat sich ja diese Schlafmütze bis auf den heutigen Tag erhalten.“
Alsdann wird in der Chronik von der großen Bedeutung des Hünxer Waldes für die Einwohner von Crudenburg und Hünxe berichtet. „Der Hünxer Wald stand früher in allgemeiner Achtung — heute wird er mit Geringschätzung angesehen. Zeiten ändern die Sachen, er war aber auch der größte Wohltäter der hiesigen Bewohner. Seit altersher kannte man ihn als Gemeindeboden der beiden Dörfer Hünxe und Crudenburg. In Crudenburg hatten jedoch nur die Hausbesitzer ein Anrecht daran, nicht die Tagelöhner des Schlosses. Die Hausbesitzer zahlten auch allein Staatssteuern, die Tagelöhner nicht. Deshalb werden erstere auch die schatzbaren Einwohner von Crudenburg genannt. Die Aufsicht über den Wald führte der Herr von Crudenburg, — neben ihm aber auch Gartrop als Besitzer von dem Hofe Clevegut in Hünxe. Dieses Aufsichtsrecht wurde das Holzrichteramt genannt. Der Holzrichter mußte das Holz verteilen, das die einzelnen jährlich zu fordern hatten. Der hiesige Besitzer hatte einen Förster über den Wald gesetzt und mit Gartrop zusammen zwei Holzknechte. Der Förster wohnte in Crudenburg und bekam für die Anweisung eines Stückes Holz 7’/; Stüber, und der betreffende Waldknecht erhielt 4 Stüber. Noch jetzt muß man den Hünxer Wald in dankbarer Erinnerung betrachten, wenn man weiß, welche Dienste er den Vorfahren geleistet hat. Aus seinem Holze bauten sie ihre Häuser, mit seinem Lehm füllten sie das Fachwerk aus. Von dem Strauchwerk machten sie Zäune, Brauschranzen zum Bierbrauen und Heideschranzen zum Feueranzünden. Dazu lieferte er ihnen das nötige Backholz. Das junge Holz wurde benutzt zu Erbsenreisern, Feichsbohnen-Stöckern (Fitzebohnenstangen) und Hopfenstecken. Dort suchten auch die sogenannten ,Heideplücker‘ ihr Heidekraut zum Besenbinden. Dort gingen auch die hohen Herrschaften dem Jagdvergnügen nach. Zu dem allen spendete der Wald noch den Kühen, Schafen und Pferden der ganzen Gemeinde Nahrung, so gut er eben konnte. Genannt wird der Wald zuerst im Jahre 1408, — in welchem Jahre eine Waldordnung oder Waldbin eingeführt wurde. Diese bestimmte, wieviel jeder Hof und jede Kath-stelle zu fordern hatte. Dann wird er wieder genannt um 1599, als er das Holz zu den Kirchenbänken, und 1603, als er es zu der Schule liefern mußte. Damals war der Herr von Seve-nar zu Gahlen Holzrichter. Später kam dies Amt an Crudenburg und Gartrop. 1667 war es so weit gekommen, daß nicht mehr viel Holz darin war. Nachdem die Holzrichter mit der Regierung in Conflikt geraten waren, wurde der Wald ,in Zuschlag gelegt‘, das heißt, es durfte in mehreren Jahren kein Holz daraus geholt werden, — er sollte erst wieder etwas heranwachsen. 1669 wurde die betreffende Verordnung noch einmal erneuert. Sie lautet also: „Alexander, Graf von Vehlen, Pfandherr zu Brünen pp. Ob wir zwar zu unterschiedlichen mahlen und noch vor zweyen Jahren zu Mennigfichens Wissenschaff in unserer Parochial-kirche zu Hünxe Öffentlich von Cantzell haben abrufen lassen, wasgestalt zwischen dehro Churfürstlich Brandenburgischer Regierung zu Cleve und den Hohen Beerbten (die Häuser Crudenburg und Gartrop) Hünxerwaldes verglichen und vor guth angesehen worden, daß zur Wiederaufnahme besagten Hünxerwaldes und zur Verschonungh dehren darin vorhan-denen jungen Heistern ein Zeitlang mit abhawen und abholungh deß Brandt und anderen Holzeß stillgestanden werden, so vernehmen wir dennoch mit Befremdungh, daß dehme also nicht nachgelebet, sondern von verschiehdenen Haußleuthen freventlich nicht zu schützen, vielmehr aber vor schaden zu hüten habe, So werden vorige deßwegen ergangene befellchen hiemitt erwiedert, und vorbesagter Hünxerwald hiemit abermals in solchen Zuschlag gelegt, daß keiner sich unterstehen solle, sich mit Holzhawen, Es seye Brand-, Zaun- oder ander Holz darin finden zu lassen und solches entwendbar wegzufahren oder wegzutragen; Widrigenfalls solle der frevler der Churfürstlichen Waldordnung nach ernstlich darüber bestrafet werden. Welche aber von denen darauf berechtigten Haußleuthen Zaunholz nöthig haben, selbige sollen sich beim Waldförster Erlenhagen dieserhalb angeben, der ihnen dasselbe anweisen lassen wird.‘
Nun konnte auch der Pastor Wilhelm Bönneken sein Deputatholz nicht mehr bekommen, — dafür vermachte ihm aber der Graf A. von Vehlen 6’/2 Malter Hafer aus der Lohmannskathe .tu Bucholt-Welm, welche bis dahin die Kirche erhoben hatte. 1735 wollte der Staat wieder das Oberaufsichtsrecht über den Wald geltend machen, und der zweite Pastor R. C. Ritter sollte Öffentlich von der Kanzel publizieren, daß niemand aus dem Walde Holz holen dürfe, es sei denn von dem königlichen Förster angewiesen. Im Weigerungsfall wurde er mit 20 Goldgulden Strafe bedroht. Er ließ sich aber von dem Herrn von Strünkede, dem derzeitigen Besitzer von Crudenburg, bereden, sich dem Befehl zu widersetzen. Der nahm ihn denn auch in Schutz, und der Pastor blieb unbestraft, und der alte Zustand dauerte fort. 1742 wurde festgesetzt, daß nicht anders als an einem Freitage Holz geholt werden durfte, und 1745 ward er ebenfalls in Zuschlag gelegt, weil — wie es heißt — die Bauern ihn so sehr verdorben hätten. Als diese Zeit abgelaufen war, wollten die Holzrichter den Geistlichen klarmachen, daß sie kein Holz aus dem Walde zu fordern hätten, sondern daß dies nur ein Gnadengeschenk sei. Darüber erhoben sich dann endlose Klagen, — und 1785 ging es sogar an den König. 1736 wird als Waldförser Meesen Jan genannt und dann Benninghoff. Als das Gut Crudenburg von Gartrop angekauft wurde, ging auch das Holzrichteramt an dieses Haus über. 1805 macht der Herr von Quadt zu Gartrop bekannt, daß die Ansprüche der einzelnen auf den Wald sollten untersucht werden, und diejenigen so Teile davon in Pacht hatten, mußten sich melden. Als die Franzosen hierher kamen, scheint das Holzrichteramt endlich auf den Staat Übergegangen zu sein. 1811 bitten die beiden Pfarrer Erben und Romberg aus Hünxe den Forstinspektor Müller in Meiderich um Holzanweisung. Als nun auch der Wald wieder preußisch geworden war, wurde er dem Oberförster Hölscher in Wesel unterstellt. 1825 wurde ein Teilungsplan gemacht und zum Teilungskommissar der Assessor Ebell in Dorsten ernannt. Die Teilung kam darauf zustande, wobei auch die Kirche nach Recht und Gerechtigkeit bedacht wurde. — Seit der Zeit ist der Hünxerwald mehr und mehr in Vergessenheit geraten — und jetzt gedenkt man seiner nur noch, wenn man Heidekraut als Streu für das Vieh nötig hat. (So schrieb der Chronist um 1890 herum. Heutzutage braucht auch niemand mehr Heide-atreu für die Viehställe.)
Im Walde aber gab es auch Hirsche, Rehe, Hasen, Füchse, Dachse, Wildschweine, Wölfe, Feldhühner usw. Wie einesteils dem Wilde von Unberechtigten grimmig nachgestellt wurde, hatte es andererseits mächtige Beschützer. Alexander von Vehlen ließt im Jahre 1670 folgende Bekanntmachung von der Kanzel ablesen: „Demnach mir glaubwürdig berichtet worden, daß sowoll Bürger als Soldaten aus Wesel sich frevelmüthig gelüsten lassen, gegen Landesfürstliche Placaten auch unsere Wiltbahnen jenseits der Lippe im Kirchspiel Hünxe und der Bauernschaften Weilern und Bocholt mit schießen und anderem Jagen sonderlich an Hasen, Veithühner und Kaninen gentzlich zu verheeren, So befehlen wir Unserem Hünsischen Waldförster Wilhelm Erlenhagen hiermit gnädig, daß er öffentlich zu Männiglichens Wissenschaft abrufen, auch Unseren Waldknechten und den Bauerrichtern Unseres Kirchspiels Künxe und obengenannter Bauerschaft ansagen lasse, daß sie auf solche nicht berechtigte frembde Jegern passen, deren selben sich sambt und sonders bemechtigen und nach Unserem Hause Cruden-burg gefänglich abführen, und biß fernere Unsere Verordnung hinsetzten lassen sollen. Und da die Waldknecht mit den Bauerrichtern zu vorgenannten Contraventien Angreiffung nicht stark genug sein würden, Sollen und mögen sie die Wolfstrommel rühren, eine Zusammenrottung der Unterthanen /: welche diesen hiemitt befehligt wird :/ machen und also Unseren obgemelten Befelch effect und nachdruck zu geben wissen, bey unnachlässiger Arbitrarstraf (willkürlicher Strafe) derjenigen, welche hiebey widerspänstich oder säumich seyn würden. Urkund dieses geben auf Unserem Hauß Crudenburg d. 12. Juilus 1670. Alexander, Graf v. Vehlen.“
Hieraus geht deutlich hervor, daß es 1670 noch Wölfe gab, und daß die ganze Gemeinde mit der Wolfstrommel zusammengetrommelt wurde, falls sich einer sehen ließ. Natürlich war jeder bewaffnet. Im Hünxer Kirchturm hängt noch ein altes zerrissenes Wolfsnetz. Ein Jahr zuvor war schon eine Verordnung zum 5chutze des Wildes im Hünxerwald erschienen, also lautend: „Alß wir mißfellig vernehmen, daß Unsere vor diesem außgelassene und öffentlich vom Cantzell abgekündigte Befelchern wegen Verschonungh der Wiltbahnen nicht nachgelebet, sondern das Hasenstricken annoch einen Wegk wie den anderen heimlich conti-nuiret werde, so wird obgemeltes Unser Verbott hiemitt nochmals erwiedert und abermahlen Jedermänniglich bei Pön von 20 Goldgulden gewahrschaud, sich dessen nicht allein zu enthalten, sondern auch folgende drei Monathen über, nemblich April!, May und Juny deß Heydeplückens zu entäußern, als wodurch das Lauffendes und Fliegendes Wilth nicht wenig verjaget wird. Auch wird hiemit Jedermann bey Pön von 10 Goldgulden verbotten, keine Apfel- oder Birnenstemme in vorgenanntem Hünxerwalde aufzuladen und zu verbringen. Wonach sich ein jeder zu richten und vor ungelegenheit zu hüten hat. Geben, Schloß Crudenburg, d. 2. Aprill 1669. Alexander, Graf v. Vehlen.“
Der Schluß des Schriftstückes betrifft wilde Obststämme, die an manchen Stellen noch im Walde vorkommen.
Ähnliche Verordnungen zum 5chutze des Wildes wurden nach Übereinkunft der Herren von Gartrop und Krudenburg in den Kirchen zu Gahlen und Hünxe noch 1675 von den Kanzeln abgekündigt. Sie sind von dem damaligen Rentmeister in Gartrop Johann Reidt und von dem Amtmann Bormann in Crudenburg am 21, April 1675 verfaßt. — Doch der Herr A. v. Vehlen hielt die Spatzen für ausrottungswürdig und ersann gegen diese daher folgenden Vernichtungsplan: „Alexander, Graf von Vehlen, Pfandherr zu Brünen pp. pp. . . . Demnach die tägliche Erfahrung gibt, daß spatzen oder Lewinge in den garten und aufm Acker mit Ab-freßung des Sahmens großen Schaden thun, und solches Gespeuß sich also vermehret, daß nöthig, demselben abzubrechen und zu vertreiben, So befehlen hiemit gnädigst und wollen, daß ein jedes Hauß in unserer Freiheit Crudenburg und Dorff Hünxe vornehmlich, sonsten auch alle Hausgesessene in unserem gericht Hünxe, daß sie jährlich fünf alte oder zehn junge, andere aber zwei alte oder vier junge Köpfe bey dieser Briihtzeit ohnfehlbar und bei Pfön zweyer resp. dreyer goltgulden von jedem Hauß, an unsere Vogte zu Crudenburg und Hünxe liefern, diese aber solche Unserem Amtmann zu Crudenburg wieder einliefer, Auch diesem anstehenden Sonntag in der Kirche zu männiglichens Nachricht ablesen sollen. Geben Crudenburg, d. 13. April 1669. Alex. Graf v. Vehlen.“
Die Jagdgerechtsame des Hauses Crudenburg resp. Gartrop sind 1806 durch die Franzosen in Bezug auf die andere Lippeseite hinweggefegt worden und ganz naturgemäß auf Hünxe übergegangen.

 

Sechshundert Jahre Krudenburg                               Heimatkalender 1966
von Kurt von Mallinckrodt

2. Fortsetzung

Ein recht umfangreiches Kapitel der Chronik von Crudenburg berichtet alsdann über Festlichkeiten, Trank und Trunk unserer Vorfahren. Es heißt darin einleitend, daß sie immer Bier und Wacholderwasser im Keller gehabt hätten, „darum gingen sie auch oft dabei“, Das Bier brauten sie selbst, und in jedem Hause befand sich ein Braukessel, — alte Leute wissen sich darauf auch noch gut zu besinnen. Zur Bereitung des Bieres verwandten sie Hopfen, der Hünxerwald lieferte Hopfenstangen und Brauschranzen. Daß die Alten auch Wacholderwasser im Hause hatten, geht daraus hervor, daß, als 1719 dem Bauerrichter Schompermann bei Nacht einige Weselsche Dragoner ins Haus fielen, haben sie ihm das Fleisch vom Balken gestoßen, gekocht und gegessen und ihm viel Bier und Wacholderwasser aufgetrunken. In den Wirtshäusern kostete ein Maß Bier a Stüber und ein Orth Fusel 3 Stüber. Da das Bier billiger war, so wurde es natürlich vorgezogen. Das Trinken fing bei den Kindern schon an. Als 1661 neue Pfannen auf das Armenhaus gehangen wurden, gaben die Schulkinder diese an und wurden dafür mit Bier traktiert. Man kann sich fast keine Arbeit denken, bei der nicht so und soviel Bier oder Branntwein getrunken wurde. Selbst der Richter wurde mit Wein besoldet. Als 1599 aus dem Walde Holz zu Kirchenbänken geholt wurde, wurden darüber bei Hans Meier 6 Thaler vertrunken, — ebenso im Jahre 1600 6/2 Thaler. Fast kein Handwerker konnte bloß für seinen Lohn arbeiten, er mußte Bier haben und nahm lieber an Lohn weniger. Auch die ernstesten Pflichten ließ man sich mit Bier bezahlen. So starb 1746 bei dem Presbyter, der die Rechnung führte, ein armes Kind. Darüber lautet eine Position in der Rechnung: „Das arme Medgen Marie hat bey mir sein Leben geendiget und ist im Herren entschlafen, es haben diejenigen, so es überleutet haben, getrunken an Bier für 8 Stüber (das sind 8 Maß) und die Wachers, so bewachet haben, vor 4 Stüber.“ Das ist ein unzweifelhafter Beweis, wie tief dieses Laster eingerissen war. So wie es die Privatleute machten, so machten es auch die amtlichen, wie Gemeinderat und Presbyterium. So stand es in Hünxe, so auch in Crudenburg. Wenn der Gemeinderat die Schornsteine revidierte, was wohl jährlich dreimal geschah, so ging es zum Schluß ins Wirtshaus und es wurden einige Orth Fusel vertrunken, die die Gemeindekasse bezahlen mußte. 1719 kam ganz Crudenburg betrunken in die Hünxer Kirche. Sie waren von Herrn von Heiden, dem derzeitigen Besitzer von Crudenburg, hingesandt worden, um die Pfarrwahl zu verhindern; denn Herr von Heiden behauptete, die Gemeinde hätte nicht das Wahlrecht, sondern müßte ohne weiteres den Pastor nehmen, den er bestimmte. — Von einer Frau aus Hünxe, welche im Armenhaus wohnte, heißt es im Jahre 1700: „Am 2. August sind Gaben an die Armen ausgetheilet worden, jedoch Clara int Armenhaus hat nichts bekommen, wegen der in Crudenburg und vorhin vielfältig geübten Völlerei und Sauferei.“ — Am schlimmsten kommt nun hierbei das Presbyterium weg, nicht etwa, weil es am meisten getrunken hätte, sondern deshalb, weil alles von ihm Getrunkene in der Rechnung verzeichnet steht. Auf jeder Pfarrwahl, Küsterwahl, jeder Einweihung eines Kirchengebäudes, jeder Reparatur, jeder Versammlung floß viel Bier und Fusel, was auch die Kirche bezahlen mußte. Nach der Rechnung von 1750 ist verzehret am 23. Februar bei der Rechnungslage an Meiers Haus 1 Thl. 15 St. Das waren schon 45 Maß Bier. Am 12. April bei außerordentlicher Versammlung 6 St. — Für die ordentliche Sitzung werden 15 Thlr. 1 Stüber gerechnet, und für jede außerordentliche 6 oder 9 Stüber. Nun wurden 1750 vier ordentliche und sechs außerordentliche Sitzungen abgehalten. So ist es in allen Jahren gewesen. Als 1743 in Elten die kleine Glocke gegossen war und abgeholt wurde, hat man auf der Reise verzehrt 26 Thaler 15 Stüber. Als die andere Glocke, welche 1770 in Isselburg gegossen ist, abgeholt wurde, kehrten die Presbyter ein in Wintherbruch, in Hamminkeln, ferner am Schwan und zuletzt noch in Crudenburg und verzehrten auch viel Geld. Mit viel Trank und Trunk wurde es auch gefeiert, als 1720 auf dem ersten Pastorath „die Schür aufgerichtet ward, 1 Hammel gekauft 2 Dahler, 1 Schinken 1 Dahler 24 Stüber, an Katharina Böckers für Bier und Wacholderwasser 3 Dahler“. In demselben Jahr wurden noch bei Aufrichtung des Pastorhauses verzehrt 3 Thl. 15 St. und an Wein 1 Thl 6 St. — Als nun 1721 die Wedem eingeweiht wurde, kostete das 30 Thaler. 1728 wurde die Schule gebaut, die jetzt noch steht, und die Aufrichtung verlangte an Bier und Fusel für 22 Thl. 8 St., und sogar als in eben diesem Jahre die Kanzel „gefärbet“ wurde, hat das Presbyterium dabei 12 Thaler vertrunken. Der Wirt Albert Meier schreibt 1741 folgende Rechnung aus: „1741 ist bei mir verzehrt an bier, brandwein, piep und tobach 1 Dir. 20 st. und als die Organistenwahl gehalten vom Kirchenrath verzehrt l d 15 st.“ Damals war das Rauchen meist noch auf die Wirtshäuser beschränkt. Der Wirt hatte in einem Kästchen eine Menge Tonpfeifen, und jeder Gast nahm eine und schmauchte daraus. Über den Wirtshausbesuch lassen sich keine Aufstellungen machen, doch darf man hiernach annehmen, daß die Wirte gute Geschäfte gemacht haben. Das Kapitel vom Trinken ausreichend zu erschöpfen, ist unmöglich. Es sollte nur gezeigt werden, wie jede Gelegenheit benutzt wurde, um zu feiern und zu trinken.
Jetzt sollen noch einige Gelegenheiten berührt werden, wo das ganze Dorf feierte, nämlich die Volksfeste. Gegenwärtig ist ja das Hauptfest die Kirmes. Sie hat den Charakter eines kirchlichen Festes gänzlich verloren, und manche mögen nicht einmal mehr wissen, daß dieses Fest von der Kirche eingesetzt ist, um den Gedenktag der Einweihung der Kirche festlich zu begehen. Im Gegenteil — selten ist die Kirche leerer als auf Kirmes. Zuerst wird die Kirmes 1537 genannt mit folgenden Worten: „Item up dat Hochtyt (hoher Festtag) Krystmyß 8 qzt (Quart) Weißwein, de qzt 3 Albus 2 Heller.“ Dieser Wein ist zum Abendmahl gebraucht worden; man kann sich aber nicht erklären, wer ihn getrunken hat, da doch die katholische Kirche den Laien den Kelch nicht gestattet. Später nahm die Kirmes immer mehr einen weltlichen Charakter an. Herr von Heiden versuchte 1699 noch einmal, die weltlichen Vergnügungen zu verdrängen, aber vergeblich. Die Verordnung lautet: „Auf specialen, von Sr. Exel-lenz dem Herrn Generalleutnant Freiherrn von Heiden, unßerm gnädigen Herrn, zugegangenen Befehl wird dem Vögten Giesberts by straff von 10 Goldgulden in seiner Exellenz hohem namen hiemit anbefohlen, dahin zu sehen, daß heute, Sonntag, gantz und zumah-len keine Waren, es seye in den Häußern oder sonst ausgesetzt, viel weniger in den Herbergen söffereyen oder exorbitationen (Übermäßigkeiten) und unordentlich leben vorgehen, sondern daß der tag des herrn der gebühr heilig gefeiert werde, und kann die Jahrmarkt einhalts Churfürstlichen gnädigste Verordnung auf morgen nach alter Gewohnheit gehalten werden, zu welchem ende dann der Herr Pastor zu Hünse diesen nachmittag die anordnung machen und publiciren kann, daß morgen vormittags gepredigt, und also morgiger Tag (Montag) auch gefeiert werde. Welche aber obiger Sr. Exellenz Verordnung und heilsam befelch zuwider leben würden, deren Wahren sollen nicht allein weggenommen, sondern dazu in die obge-nannte straffe verfallen seyn und dafür würklich angeholten werden, wonach sich ein Jeder der gebühr achten und vor schaden hüten kann. Crudenburg, den 6. September 1699. Alex, zur Beck (Richter).“
Noch wird die Kirmes jeden ersten Sonntag im September und den darauffolgenden Montag gefeiert. Sie hat nun aber auch den Jahrmarktszweck verloren und dient nur noch zur Belustigung der jüngeren Leute, während sich die Alten im Hause gütlich tun bei Essen und Trinken. Diejenigen Einwohner von Crudenburg, welche nach Hünxe zur Kirche gehen, feiern dort auch die Kirmes mit, und die übrigen in Drevenack. So ist das Prinzip, die Praxis aber so, daß jeder beide Kirmessen mitfeiert.

l. Bönnekens Haus, 2. Nettelbusch, 3. Krechter, 4. W. Scholten, 5. Sieberg, 6. Krämer, 7. Boveland und Pollmann, 8. Nuyken, 9. Bleckmann, 10. Neuköther, 11. Die Schule, 12. H. Krebber, 13. Märten, 14. Giesberts, 15. Bosserhof, 16. Schnier, 17. Wwe. Krebber, 18. A. Wolf, 19. Sicking, 20. G. Royer, 21. Amerkamp, 22. Benninghoff, 23. Lehmschlöter, 24. — , 25. — , 26. Hausemann, 27.— , 28. Rubruck, 29. (Schloßplatz — Benninghoff?), 30. Krebber, 31. — (Erlenhagen?), 32. Schölten, 33. Entrop, 34. Schoel, 35. , 36. Bühnen, 37. Sicking Haus, 38. Wwe. Schölten, 39. Lohmann, 40. Schmitz (Vogelbusch), 41. Nuyken (leer), 42. Wwe. Scholten (leer), 43. Terlinden, 44. Nuyken, 45. Brücker (Ridder).

Ein anderes Volksfest war das Gildenfest, welches aber mehr von den älteren Leuten gefeiert wurde. Das Wort Gilde stammt aus heidnischer Zeit und bezeichnet all die Leute, die zu ein und demselben Opferschmaus gehörten. Im anderen Sinne hat diese sogenannte Bauerngilde auch in der christlichen Zeit fortbestanden. Sämtliche Bauern und Käthner von Hünxe gehörten zu dieser Gilde, und die schatzbaren Einwohner von Crudenburg behaupteten, daß sie auch dazu gehörten. Die Gilde bildete die besitzende Gemeinde, und aller Gemeindeboden war Eigentum der Gilde. An der Spitze stand der Gildemeister, der also ungefähr die Stellung des heutigen Gemeindevorstehers einnahm. Die Gilde nennt sich auch die Bruderschaft oder Gilde von St. Antonii. Im Jahre 1678 verkaufte die Gilde, da sie die Kriegssteuern nicht alle aufbringen konnten und die einzelnen Bauern tief in Schulden geraten waren, ein Stück vom Gemeindeboden; das Geld wurde verteilt. Die Crudenburger bekamen nichts mit, und darum führten sie Klage beim Richter Erwyn Steckling. Sie behaupteten, daß sie l. ihr Bauernrecht in Hünxe ebensogut hätten als einer der dortigen Einwohner und daß sie auch auf den vorgefallenen Zusammenkünften jederzeit mit eingeladen gewesen seien; 2. behaupten sie, daß die Kriegssteuer für die ganze Gemeinde immer ausgeschlagen gewesen sei und sie hätten doch auch Kriegssteuer bezahlt. Wenn sie zur Gemeindegilde nicht gehören sollten, so hätten sie ja nur für Hünxe bezahlt. 3. Bei den Kirchspielbeschwerden wären die Crudenburger immer mehr herangezogen worden als die Hünxer, namentlich was die Gänge für die Herrschaft nach Raesfeld, Wesel, Dorsten betreffe, sowie auch bei Reparierung der Brücke zwischen den beiden Dörfern und der Wege und Stege; sie hätten ferner auch die Einquartierung oftmals allein getragen. 4. Jedermann wisse, daß die zu recht befugten Crudenbur-gischen Clegern Pfarrgenossen in Hünxe wären, folglich gehörten sie auch zur dasigen Gilde. Zum Schlüsse bitten sie dann, sie auch an der Verteilung mitgenießen zu lassen. — Die schatzbaren eingesessene der Freiheit Crudenburg. Crudenburg, den 21. März 1678. Darauf erwidern die Hünxer: ad 1: Die Crudenburger haben ihr Bauerrecht nicht in Hünxe. Zu den Zusammenkünften pro quartalia in Sachen des gemeinen Bauer- und Gilderechtes, „als wann bauerrichter erwehlet, Gildemeister angeordnet, Kirchspiels- und Bauernsetzung gemacht, bauer- und Gilderechnung gehalten“, seien sie niemals eingeladen gewesen, noch weniger, daß sie etwas darin sprechen oder hätten handeln dürfen. Zu den Zusammenkünften aber, „die man pflecht zur conservation der gemeinen Bruderschaft zu halten, wird gern gestendigt, daß sie jedesmahl dazu eingeladen worden, aber nicht allein die schatzbaren in der Freiheit Crudenburg, sondern auch die bedienten des herrschaftlichen Hauses, als Herr Amtmann und Herr Waldförster, die binnen Vererbten dieser Bauerschaft, sodann die Geistlichkeit und Diener der Kirche allhier, gleichfalls die nächsten anwohnenden der benachbarten bauerschaften Bühl und Bocholt. Daraus folgt noch nicht, daß sie zu unserer Gilde gehören. Die Vorsteher der Hünxischen Bauerschaft werden solche Einladungen hinfüro einstellen und sie in ihrer Freiheit Crudenburg belassen, ad 2: Ihre Schätzung ist uns nicht zugute gekommen, dieselbe ist für Bruckhausen und Bocholt auch besonders ausgeschrieben worden, sowie auch für Crudenburg. ad 3: Mit ihren Diensten haben die Crudenburger uns nichts geholfen, sie haben ja jederzeit ihre eigenen burgermeestern gehabt, und für ihre besondere Municipalfreiheit haben sie solche Dienste uff sich genohmen. Die Hünxer gebrauchen die brügge und weg und Steg nicht mehr wie die anderen bauerschaften auch und bezahlen dafür auch ihr Fehrgelth. Einquartierung hat jede Ortschaft tragen müssen. 4.: Der Pastor stellt gar nicht in Abrede, daß die Crudenburgischen seyn Pfarrgenossen zu Hünß, dieses ist ganz unnütz herangezogen worden, der Pastor wird aber bey dieser Gelegenheit befugt und veranleitet seyn, die kirchliche Gerechtigkeit dagegen, die zwarn aus guter nachbarlicher discre-tion denen Drevenackschen Pfarrgenossen in den Crudenburg bisher nachgesehen, ins künftige aber utiliter für sich und seine Kirche stricktus zu beobachten. (Hieraus geht hervor, daß der Pastor die Klagebeantwortung gemacht hat.) Es folgt hieraus noch nicht, daß sie zur Gilde berechtigt sind.“ Sie beantragen denn, die Crudenburger abzuweisen. Aus Punkt 1 geht hervor, daß das Gildenfest wirklich muß ein Volksfest gewesen sein, und wohl mit viel Aufwand und Zeremonien gefeiert ist. Die Crudenburger feierten also auch dieses Fest dort mit. Gilde und Gildenfest haben auch 1806 ihr Ende gefunden.
Ein drittes Volksfest war noch das Schützenfest, welches vor 100 Jahren noch sehr in Blüte gestanden hat. Es ist aber immer ein Fest der jungen Burschen gewesen und hat daher oft die Schranken überschritten. Auf jedem Schützenfest gab der König einen Thaler, der wurde breitgeschlagen, mit einem Reime versehen und dann an die Kette gehangen, die der König trägt. An der Kette von Hünxe befinden sich die Thaler ungefähr von 1700 an. Crudenburg feierte immer sein eigenes Schützenfest. Zuletzt aber hat man damit 10 Jahre gewartet. Wie es bei den Schützenfesten herging, bezeichnet ein Regierungsdecret vom Jahre 1715 genauer: „Nachdem Wir in Unserem Hoflager (Friedrich Wilhelm I.) mißfällig vernommen, daß in vielen clevischen Städten bei dem jährlichen Scheibenschießen derer Junggesellen und gar der Knaben von 10—15 Jahren sich zusammenthun, compagnieweise auf den Gassen herumziehen und hernach etliche Tage und Nächte nacheinander mit Trinken und Spielen sehr excedieren und sich dergestalt in ihren besten Jahren zum Saufen und liederlichen Leben angewöhnen wozu an etzlichen Orten sogar die Gemeinde die Kosten trägt, Wir aber das Scheibenschießen als eine an sich nützliche Übung denen jungen leuthen fernerhin wohl verstattn, hingegen denen dabey vorgehenden Üppigkeiten länger nicht nachsehen werden können, Alß haben wir in gemeltem Hoflager allergnädigst verordnet, daß, wenn die Junggesellen ihr Scheibenschießen fortsetzen wollen, sie sich dabei mäßig und bescheidentlich aufführen, und Insonderheit des Schießens und Lermens auf den Gassen sich enthalten, denen Knaben aber das bisherige Herumlauffen und schwelgen bei nahmhafter Straffe verboten und durchaus nicht weiter zugelassen seyn soll. Und befehlen euch in Gnaden, daß ihr euch danach aller-unterthänigst achten, darauf halten und dawider keine Contravention gestatten sollet. Cleve, d. 7. September 1715. Adam Otto v. Viereck.“
Diese Verordnung wurde fast alle Jahre erneuert. Eine Extraverordnung von 1717 lautet also: „Nachdem allerunterthänigst geklaget worden, daß ohnerachtet wir die Hochzeits- und Tauf-mähle eingeschränket, auch bey den Scheibenschießen und anderen Saufgeläger keine Frauenspersonen sich finden lassen sollen, verordnet, hätten dennoch die Hochzeits- und Taufmähle fast größer denn vorhin angestellet, und bei dem Scheibenschießen die Magde ordentlich eingeladen, solche Sauffgeläger zum wenigstens 2 Tage fortsetzen, und dabey große Excesse ver übet würden, Wir aber solchen Contraventiones länger nicht zusehen können, Als erwiedern Wir Unsere diesertwegen außgelassene Verordnung und befehlen euch in Gnaden, daß ihr dieses geziemend zu männiglichen Wissenschaft bringen, allen Unseren Unterthanen dessen Geltung bey Straff von 25 Goldgulden einbinden und die Contravenientes vor die Brüchten ansehen sollet. Cleve, d. 1. Juni 1717. J. C. v. Strünckede.“
Die Schützenfeste sind in den meisten Gemeinden schon lange keine Volksfeste mehr, sie sind aus der Mode gekommen und gehen ihrer Auflösung entgegen. (Das war die Meinung des Chronisten um das Jahr 1900. Anm. d. Verfassers.)
In Crudenburg wurde jährlich der Sonntag Oculi im Monat März als Volksfest gefeiert. An diesem Tage legte der „Burgermeister“ der ganzen Gemeinde Rechnung. Die Rechnung wurde in der Schule abgetan, wobei der Bürgermeister und der Lehrer auf bekränzten Stühlen saßen und auch bekränzte Pfeifen erhielten. Daß hierbei auch auf Kosten der Gemeinde gegessen und getrunken wurde, ist ein so großes Unrecht nicht, denn die ganze Gemeinde aß und trank mit. Der Bürgermeister war ein aus freier Wohl hervorgegangenes Gemeindeglied. Im Jahre 1749 wurden vertrunken auf Oculi 2 Ohmb bier ä 1 Reichsthaler 30 St. macht 3 Rchth. und 10 Kannen Fusel ä 10 St. = 1 Rchth. 40 St.
Mit besonderer Vorliebe wurde und wird noch in diesen Dörfern Neujahr gefeiert, weniger als Volksfest wie als Familienfest. Starke Ausschreitungen müssen dabei vorgekommen sein, wie aus dem nachfolgenden Publicandum hervorgeht: „Da aus der Erfahrung bekannt, was auf dem Heiligen Neuen Jahrestag von rucklosen Leuten vor Excesse und Unordnungen angefangen werden, wodurch zuweilen das größeste Unglück zu entstehen pfleget, als habe ich nöthig gefunden, ein dergleichen unerlaubtes Vornehmen ein vor allemahl gänzlich abzustellen, durch diese Ordre allen und jedem zu untersagen, und zwar bei unausbleiblicher und nachdrücklicher Straffe, daß sich keiner unterstehen solle, am neujahrstage weder mit schie ßen noch sonst unerlaubten Excessen sich zu vergehen, wovon keiner in der ganzen Herrlichkeit Crudenburg ausgeschlossen ist, wie denn desfalls nicht alleine denen Bedienten vom Hauß, sondern auch zugleich allen Bauerrichtern und Scheffen ernstlich anbefohlen wird, ein wachsames Auge darauf zu haben und die Übertreter dieser Ordre sogleich ohne Anstand gehörigen Orts angeben, widrigenfalls sie mit unausbleiblicher Strafe sollen angesehen werden, damit sich auch keiner mit der Unwissenheit zu entschuldigen, Alß soll dieses öffentlich in der Kirche abgelesen werden. Crudenburg, den 27. Dezember 1739. Sigismund Freiherr von Strünckede.“
Dieser Befehl wurde die folgenden Jahre jedesmal am letzten Kirchtag vor Neujahr von der Kanzel abgelesen, und doch hat das Schießen nicht verhindert werden können; es besteht noch.
Wurde denn auf solchen Vergnügungen nicht getanzt? — Gewiß, auch das. Zur Zeit Alexanders von Vehlen hatte ein Musikant aus Raesfeld die Gerechtsame, hier zu spielen; allen anderen war es verboten. Der Richter Füllen verfügt im Namen des Grafen: „Demnach Ihre Hochgräfliche Exellenz, der Herr Veldmarschall Graff von Vehlen und Meyen, unsere Gnädige Graff und Herr auf Unterthäniges ansuchen dehro Raesfelthschen Dieners und Musi-canten Hermansen Bernings gnädigst bewilligt und zugestanden, daß in dehro Herrschaft Hünxe wie auch in Crudenburg und soweit sich die Jurisdiction und bottmäßigkeit erstrecket, auf alle vorfallende Hochzeiten, Kindtaufen, Gastmähler und Wiltschützereien ‚: so wanehr Musicanten darauff gebrauchet werden sollten :/ gedachter Bering allein spielen und musi-ciren, andern außwertigen aber poenaliter und bey Verlihrung und prismachung der instru-menten, darauff zu spielen oder zu musiciren verbotten werde, seyn und pleiben solle, So wird solches hiemitt Männiglichen zu wissen vermachet, umb sich darnach zu richten und vor ungelegenheit zu hüten. Crudenburg, den 22. Märtz 1668. Auf Hochgemelten gnädigen Herrn Hochgräfl. Befehl. Füllen.“
Das wurde von der Kanzel herab publiziert — oder vielmehr mußte publiziert werden; was würde man jetzt dazu sagen?
Bering strich denn auch wirklich allein auf, auf den Dörfern spielte in dieser Zeit immer nur ein Musikant, also einer Solo.
Es bleibt nun noch übrig, einen Blick auf die Trauerfestlichkeiten zu werfen. Daß auf den Hochzeits- und Taufmählern übermäßig getrunken wurde, und daß diese 2 bis 3 Tage anhielten, ist ja schon erwähnt. 1667 machte Pastor Wilhelm Bönneken bekannt, daß in der Fastenzeit keine öfffentlichen Convivia (Gastgebereien) mehr dürften abgehalten werden, laut Beschluß des Presbyteriums. Als 1672 durch die Franzosen große Armut einriß, wurde weiter bekanntgemacht, daß die Armen nicht gezwungen sein sollten, das Leichenbier zu geben. Es mußte sonst bei jeder Leiche eine bestimmte Quantität Bier gegeben werden. Der Beschluß des Presbyteriums lautet darüber: „Weil große Armut wegen Kriegsverderb und sonsten vorhanden, ist gut befunden, daß die Eltesten, jeder in seiner Gemeinheit oder bauerschaft, andeuten sollen, daß diejenigen, so nicht woll dabey werden (die sich nicht gut ständen) ohne einige abkürzung gebührender Ehrerbietung in Sachen der begräbniß, kein Leichenbier zu geben bedürfften. Hinwieder aber, so einige aus ehrgeiz dem nicht nachkommen würden und hernach in dürftigkeit fahlen, desto weniger commiseration (Erbarmung) und Steuer von den Armen zu erwarten sollen.“ — Wie es auf den Begräbnissen zuging, wird durch die folgende Verordnung in etwa beleuchtet: „Nachdem durch gnädigste Verordnung Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg, unseres gnädigen Herrn, Alles Wein- und Bierschenken auf den Begräbnüßen, wodurch allerhand ärgerlich Unwesen verursacht werden, verbothen, und man sich bey den Begräbnüßen vielmehr der Sterblichkeit zu erinnern, der-halben auch allen übermäßigen sauffens sich billich zu enthalten, Alß wir namens Hochgemelt Sr. Churf. Durchl. unsern gnädigsten Herrn jedermänniglich hiemitt zu wissen gethan, daß hinfüro solchem schenken auf denen Leichenbegängnißen sich enthalten, wehr deme aber zuwider gehandelt, daß für jeden, welchem Wein, Bier oder ander getränk geschonken, von dem Sterbehause oder wer diese freunde und nachbahrn geladen, alsofort nach geschehener begräbnüß 2 Goldgulden Straff erleget werden sollen, Geben, Wesel, den 23. October 1680. Stechlinch (Churfürstlicher Richter).“
Das Leben unserer Vorfahren in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hat uns der Chronist durch vorstehende Schilderung des Dorfes, der Tracht und mancherlei Gepflogenheiten und Sitten ziemlich dargestellt. Daß dieses Leben auch in der Friedenszeit recht erlebnisreich und keineswegs eintönig und langweilig gewesen sein muß, mag der Leser des Heimatkalenders nicht nur aus vorstehenden Zeilen, sondern auch aus der Beschreibung des Hünxer Pfarrwahlstreites der Jahre 1715—1723 entnommen haben. Man erfährt noch von manchen anderen Schönheitsfehlern der „guten alten Zeiten“, wenn man in alten Dokumenten blättert. Da kann man z. B. lesen, daß am 14. Mai 1685 der gesamte Kirchenvorstand von Hünxe und sechs Pastöre der Umgebung in Hünxe versammelt waren, um einen Streit zwischen dem Hünxer Pastor und seinem Vikar zu schlichten, der sich um den Anteil an Geldern drehte, die kirchlicherseits bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen erhoben wurden. — In einem Schreiben aus dem Jahre 1701 werden dem Pastor zu Hünxe heftige Vorwürfe von einem Richter gemacht, daß er sich zu privaten Zwecken an Kirchengut bereichert habe, ewig streitsüchtig sei und seine Pflichten sowohl hinsichtlich der Predigt als auch der Seelsorge in gröblicher Weise vernachlässige. Da der Pastor sich nun seinerseits heftig über den Richter bei seinem Kirchenpatron beschwert, kommt es zu einer Untersuchung der Angelegenheit durch Herrn Magister Alex Volkering, Prediger zu Hamm, und Herrn Theodor Stahlknecht, der Rechten Licentiat, die sich eigens dazu nach der Krudenburg und Hünxe begeben mußten. Nach der Untersuchung wird dem Pastoren durch seinen Patron, den Freiherrn von Hey-den, mitgeteilt, daß nach Meinung der beiden Kommissare „das Schreiben des Richters recht christlich und nichts Unbilliges darin enthalten seye — und also pastori gebühret hätte, diese Ermahnung mit Dank anzunehmen, usw.“ Die Klage des Pastors wird als zu Unrecht erhoben abgewiesen und der Pastor wird „in die Unkosten verdammt“. Außerdem soll das Gericht zu Hünxe die Relation der Commissarien unter dem Namen des Freiherrn von Heyden publizieren. Es wird sicherlich einiges Gerede in der Gemeinde gegeben haben. — Eine Erregung anderer Art mag im Juni und Juli 1744 die Gemeinde erfaßt haben, als der Glockengießer Jan van Alen aus Elten die geborstene Kirchenglocke umgießen mußte. Aus den damit verbundenen Kosten an Reisegeldern, Verzehr- und Transportkosten ergab sich nämlich eine ansehnliche Rechnung von etwa 125 Reichstalern. Schlimmer war es aber gewiß, daß die reparierte Glocke „an der einen Seite zu dick und an der anderen zu dünn war. Sie hing deshalb immer schief und wollte an der leichten Seite nicht anschlagen.,, Diese Mängel wurden dem Glockengießer sofort nach Aufhängung der Glocke berichtet, und er schreibt darauf auf Holländisch also: „Seer Erwerdige Heeren pastores, Kerkmeesters, Voerstanders der Kerk van hünxe. — Wy hebben U schreyve van den 12. deses wel ontfangen, en Ick sall ten Eersten by U kommen en de klock soe sterk maekan sonder dat et haer schlagt. Mar dat se noch Eens so swaer word, der drofft U gen banghigkeyt vor hebben. Met der haest. De post staet en waght. Syet hyrmede gegroet, en Ick verblywe U onderdaenyge dynar. Elten, den 17. August 1743. Jan van Alen.“
Im folgenden Jahre wurde die Glocke von dem Königl. Preußischen privilegierten Glockengießer Voigt zu Isselburg noch einmal für 190 Taler umgegossen. Dies geschah in Hünxe selbst am 28. Januar 1744 auf Kosten des Jan van Alen. Als das Haus des Schmiedes Dames in Hünxe gebaut worden ist, hat sich beim Bau des Fundamentes die Glockenform vollstän dig erhalten vorgefunden. Sie schlummert noch bruchstückweise unter diesem Hause. — Übrigens sprang im Juni 1770 auch die große Glocke. Sie wurde nach Isselburg gebracht und dort umgegossen.
Aus dem Kurfürstentum Brandenburg war ja inzwischen das Königreich Preußen geworden, und nach dem Tode des am 18. Januar 1701 zu Königberg gekrönten Friedrich I. wollte nach 1713 *vohl der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. den so oft gerühmten und ebenso oft geschmähten Preußengeist auch bei Rheinländern und Westfalen zur Geltung bringen. Daß der selbst so sparsame König auch von allen seinen Untertanen Sparsamkeit verlangte, daß er die übermäßigen Ausgaben bei Hochzeiten, Kindtaufen und auch bei Volksfesten durch Strafandrohung zu zügeln suchte, haben die im vorstehenden wiedergegebenen Verfügungen gezeigt. Über die an anderen Orten (z. B. in Duisburg) mit Empörung und Aufruhr beantworteten Methoden der preußischen Werber, junge Leute zum Militärdienst zu pressen, ist aus hiesiger Gegend nichts berichtet. Vielleicht aber deutet ein Gerücht oder ein altes, heute vergessenes Lied, das von älteren Krudenburgern vor dem Ersten Weltkrieg bisweilen gesungen wurde, das Mitleid der Bevölkerung mit einem jungen Deserteur an, der hier im Turmgefängnis eine Zeitlang in Eisen gelegen haben soll, nachdem er bei seiner Flucht einen Fährmann an der Aaker Fähre erschlagen habe. Der traurige Text paßte zu der Trauermelodie, mit der die Leute sangen: „Ach, was bin ich doch verlassen auf der Welt von jedermann, Freund und Feinde tun mich hassen, keiner nimmt sich meiner an. Ach, was sind die Mauern dunkel und wie sind die Ketten schwer! Und wie lange wird’s noch dauern? Ist für mich kein Rettung mehr?“ — So sangen die Leute noch etwa zehn weitere Strophen, und einige glaubten zu wissen, daß es sich um einen jungen Pastorensohn gehandelt habe, der den Werbern zu entkommen versuchte. — In der Festschrift zur Feier der dreihundertjährigen Zugehörigkeit des ehemaligen Herzogtums Kleve zur Krone Brandenburg-Preußen findet sich die Notiz: „Bei einer Aushebung in Ruhrort wurde 1722 ein Soldat erschossen.“ Zusammenhänge sind durchaus nicht nachweisbar. Die allbekannte Tatsache aber, daß der Soldatenkönig 1730 in Wesel fast seinen eigenen Sohn erstochen hätte, nachdem dieser hier bei einem Fluchtversuch vor dem „Preußengeist“ gefangen worden war, spricht sehr deutlich von der Schattenseite dieses Geistes. Sie tut es umso drastischer, als doch aus diesem selben Menschen, der beinahe als Deserteur getötet worden war, nachher der weltberühmte Fridericus Rex wurde. — Es flüchtete damals wohl mancher tüchtige junge Mann vor dem preußischen Korporalstock über die nahe Grenze, und Fremde scheuten sogar die Durchreise durch preußisches Gebiet. Andererseits ist ebenso allgemein bekannt, daß dieser Soldatenkönig aus demselben militärisch strengen, fast despotischen Geist das weltberühmte preußische Beamtentum schuf, das mit seiner unbedingten Zuverlässigkeit, Unbestechlichkeit und Pflichterfüllung in unserem Lande Ordnungs- und Verwaltungsaufgaben bewältigte, welche die Voraussetzung für den Aufstieg Preußens bildeten. Daß derart ordnende Kräfte in der „guten alten Zeit“ auch unserer Heimat sehr dienlich waren, wird wohl auch aus dieser Schilderung der Zustände und Begebenheiten in und um Krudenburg vor etwa 250 Jahren ersichtlich sein.

 

Sechshundert Jahre Krudenburg                               Heimatkalender 1967
von Kurt von Mallinckrodt

3. Fortsetzung

Die „Ruhe“ in der Heimat wurde nach dem Regierungsantritt Friedrichs II., des Großen, — also nach 1740 — sehr bald erheblich gestört. Kurz nach dem Ausbruch des Schlesischen Krieges brannte am 29. 9. 1742 ein großer Teil der Stadt Schermbeck nieder, weil hannoversche Tiuppen in ihrem dortigen Quartier beim Brotbacken diesen Brand verursacht hatten. Die hannoverschen Truppen, die auch in dem dritten Schlesischen Kriege (1756—1763) in unserer Heimat oft gegen die Franzosen kämpften, waren die einzigen Verbündeten, die dem Preußenkönig in dem großen europäischen Krieg auf Englands Veranlassung zur Seite standen, denn Hannover und England waren zu der Zeit vom König Georg von England, der auch Kurfürst von Hannover war, regiert. — Von den beiden ersten Schlesischen Kriegen gegen Maria Theresia von Österreich berichten die hiesigen Dokumente wohl nichts; aber während des gesamten Siebenjährigen Krieges herrschte hierzulande bittere Kriegsnot mit viel Einquartierung, Kontributionen und Unruhe durch landfremdes Soldatenvolk. — Wesel war gleich zu Anfang des Krieges von der preußischen Besatzung geräumt und im Namen der Kaiserin Maria Theresia von Franzosen besetzt worden, denn der König Georg dachte die Weser als Verteidigungslinie zu nehmen. Die Franzosen unter Marschall d’Estrees schlugen aber den Herzog von Cumberland mit seinen braunschweigischen Truppen bei Hasten-beck i. W., und durch die Kapitulation des Herzogs bei Zeven wurde nach Auflösung der verbündeten Armee das gesamte preußische Gebiet am Rhein von Franzosen besetzt. Diese waren zum Teil mit kroatischen und serbischen Hilfsvölkern der Donau-Monarchie eingesetzt, so daß sich wieder mal arg viel fremdes Volk hier aufhielt. Friedrich selbst schlug eine zweite französische Armee und einen Haufen der „Reichstruppen“ der Kaiserin unter dem französischen General Soubise bei Roßbach. Danach führte dann der Herzog Ferdinand von Braunschweig ein neues Hilfsheer aus Hannoveranern, Hessen und Braunschweigern durch fünf Jahre hindurch mit manchem Erfolg gegen die Reichsarmee. Unseren Bauern ging es dabei aber ebenso schlecht wie damals im Dreißigjährigen Krieg. Die Gartroper können z. B. urkundlich beweisen, daß ihr Ort am 18. 11. 1760 am gleichen Tage an beide feindliche Heere Verpflegung und Futtermittel liefern mußte, und zwar an die hannoverschen Truppen in Gar-trop und an die Franzosen in Crudenburg. Mal wurden die Franzosen bis auf das linke Rheinufer zurückgedrängt, dann wieder bedrohte der General Soubise Hannover, und infolgedessen mußte Ferdinand von Braunschweig von Venlo und Wesel her schleunigst wieder zurück. Die Festung Wesel selbst ist nie von den Preußen zurückgewonnen worden. Die Franzosen wollten von Wesel her den Rückzug Ferdinands in der Gegend von Rees aufhalten. Doch da schlug der General Imhoff die französische Besatzung Wesels am 5. 8. 1758 bei Mehr in völlig ungeordnete Flucht. Von Wesel aus unternahmen die Franzosen immer wieder Vorstöße ins rechtsrheinische Gebiet. 1761 drang Soubise von Wesel her erneut in Westfalen ein, wurde aber bei Villinghausen am 15. und 16. Juli geschlagen. Trotzdem sahen die Franzosen das klevische Gebiet als erobertes Gebiet an und forderten die hiesigen jungen Leute, die in Ferdinands Armee für Friedrich II. kämpften, immer wieder auf, die preußischen Fahnen zu verlassen. Einige Soldaten aus Brünen wußten in dem Durcheinander wohl wirklich nicht mehr recht, wer denn nun zu sagen hätte, und kehrten tatsächlich nach Brünen zurück. Sie wurden aber von ihrer Heimatgemeinde sofort wieder weggejagt, was Friedrich der Große den Brünern hoch anrechnete. Nach dem Frieden von Hubertusburg wurde Wesel am 11. März 1763 endlich an Preußen zurückgegeben.
Wenn man das Hin und Her fremder Völker durch lange Jahre überdenkt und dann noch hört, daß anfänglich von Paris aus befohlen war, das Land zwischen Rhein und Weser zur Wüste zu machen, kann man sich die Leiden unserer Vorfahren in damaliger Zeit vorstellen. In der eben erwähnten Gartroper Chronik heißt es, daß unsere Vorfahren oft Rekruten stellen, auch mancherlei Arbeit mit Pferd und Wagen für die Besatzungstruppen ausführen mußten. In einer anderen Chronik heißt es, daß die Behandlung dieser Zwangsarbeiter derartig gewesen sei, daß mancher dabei sein Eigentum in Stich gelassen habe und geflohen sei. Die Crudenburger Schulchronik berichtet von einer sogenannten Castrieschen Fouragierung (durch hannoversch-brauschweige Truppen), durch welche die Gemeinde Hünxe 1760 besonders hart bedrückt worden sei. Für diese Leistung und für eine andere Kontribution durch die Franzosen aus dem Jahre 1757, bei der die Dinslakische Synode 351 Taler und der erste Pastor in Hünxe 50 Taler, der zweite 30 Taler innerhalb 10 Tagen aufbringen mußte, hätte die Gemeinde später (1769) 1094 Taler gutgeschrieben erhalten, die aber der Steuereinnehmer Dickhayer noch bis 1770 festgehalten und erst auf harte Bedrohung durch den Landrat Eisner herausgegeben habe.
Nach dem Siebenjährigen Kriege scheint bis zum Einfall der Franzosen im Jahre 1806 hierzulande das Leben unserer Vorfahren etwas friedlicher verlaufen zu sein. Von den eventuellen Ausstrahlungen der französischen Revolution ist nichts überliefert. Daher mag hier zunächst von den
kirchlichen und schulischen Verhältnissen des Dorfes
gesprochen werden, denn auch diese sind recht wechselvoll und oft seltsam gewesen. Nachdem Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg, 1613 zum reformierten Bekenntnis übergetreten war, taucht auch hier schon 1620 eine reformierte Kirche auf. Dieselbe lag auf dem Gute, und eine Wand derselben befindet sich noch in der Scheune des Herrn Benning-hoff. (Auch diese vom Chronisten, Herrn Gaecks, erwähnte Scheune steht heute nicht mehr. Sie wurde 1958 von dem Gutsbesitzer Reinhard Benninghoff-Lühl abgebrochen. Aber in der Nordwestecke der Hofmauer ist noch immer ein Teil der alten Kirch- oder Schloßkapellen-Wand erhalten.) Die damalige Herrschaft Crudenburgs hat wahrscheinlich die Schloßkirche dazu hergegeben, um die Gemeinde dadurch in Flor zu bringen. Bis dahin war der Vikar, einer der drei Hünxer Vikarien, Schloßkaplan von Crudenburg gewesen. Um 1620 war Cru-denburg im Besitze des Grafen Ernst von Holstein-Schauenburg. Unter diesem wird sich die Umwandlung vollzogen haben. Folgende Pfarrer dieser Kirche werden genannt:
1. Gerhard Titzhoff um 1620.
2. Johann Leonhard Seither. Auf einem alten Zettel stand: „Von 1662 bis 1676 hat Joh. Leonhard Seither allhier zu Crudenburg gepredigt, welcher aber zu Schermbeck gewohnt hat. Er predigte hier für die Frau Gräfin von Vehlen und Raesfeld.“ Ihr Gemahl war Graf Alexan der von Vehlen. Seither wurde 1776 nach Briinen berufen. — Die Hauptperson in Crudenburg war damals wohl der Rentmeister Erlenhagen, welcher auch Wirtschaft besaß. Die Hünxer Kirche kaufte dort ihren Abendmahlswein, 12 Kannen zu 3 Taler 18 Stüber. Er scheint aber lutherisch gewesen zu sein, denn seine Frau vermachte der Kirche in Hünxe 1670 zehn Reichstaler. Eine andere Wirtschaft war hier noch bei Piethahn in Blensenhaus.
3. Gottfried Engels wurde 1695 allhier zum Prediger bestellt und ist hernach nach Brünen berufen.
4. Heinrich Engels ist 1699 hier Prediger geworden und ward hernach nach Kettwig berufen.
Er war der Bruder des vorigen.
5. Anton von Dorth ist 1703 berufen und wurde hernach wegen seines anstößigen Lebenswandels abgesetzt
6. Johann Theodor Beckmann ist 1717 hierher gekommen und wurde 1729 nach Surinam berufen.
7. Jakob Justus Soistmann ist 1730 berufen und 1739 nach Goch gezogen.
8. Johann Speck ist 1739 hier ins Amt gekommen.
9. Theodor Wilhelm Neuhaus ist 1742 hier Prediger geworden. Auszug aus dem Kirchenbuch von 1744: „Mit Leydwesen vernimmt Consistorium, daß der Älteste Junckremann aus Obrighoven schlecht aufführt, inde mer seine Frau, mit der er kaum % Jahr verheiratet ist, mit einer Pistole mit 2 Kugeln geladen erschießen will. Ohne Reue und Buße hat er noch communicir enwollen, den Pastor Meutemacher gescholten pp. Deswegen ist er ausgestoßen aus dem Consistorium. Da er Abbitte thun soll und nicht will, soll er beim Geheimbten Rath Stockum in Wesel verklaget werden.“ Hierauf kam er dann und tat Abbitte, wollte aber nicht wieder in die Gemeinde aufgenommen werden.
„Bei Abnahme der Armenrechnung hat der gnädige Herr vorgestellt, daß der Garten des Predigers nicht mit dem Gehalt meliert werde, sondern daß derselb ohnentgeltlich, nur aus Güte von der Herrschaft vergönnet würde, auch sollen die Kosten, so am Garten verwendet würden, aus den Armenmitteln genommen werden. Die Güte des gnädigen Herrn wird gerühmt.“ „Es hat ein christlich Consistorium als Herr Speck hierselbst Prediger gewesen, dem Freiherrn von Strünckede auf dessen Ansuchen 50 Thl. aus dem Armenbeutel geliehen, und 1475 sind ihm noch 20 Thl. geliehen worden. Der Garten ist mit diesen 70 Thalern belegt worden.“ „Jeder Consistorialbruder, der nicht auf Zeit und Stunde da ist, soll 10 st. in die Armenkasse geben. Neuhaus,Prediger.“
Die Zahl der Gemeindeglieder der reformierten Kirche zu Crudenburg ist 1747 aufgezeichnet wie folgt:
1. Der gnädige Herr
2. die gnädige Frau
3. die Haushälterin Jfr. Seither
4. Rentmeister ter Stegen
5. Friedrich Eck
6. der Jäger
7. der Organist
8. die Küchenmagd
9. die Kuhmagd
In der Freiheit Crudenburg:
10. der Prediger
11. dessen Frau
12. der Schlüter Lerwich
13. dessen Tochter
14. die alte Fehrfrau
15. die Frau Krebbers
16. der alte Baumeister
17. dessen Frau
18. des Gärtners Frau
19. dessen Mutter
20. die Frau Steinmann
21. die älteste Tochter
22. die mittelste Tochter
23. der Herr Reine, pensionaire Aus Hünxe ao Personen Aus Drevenack 46 Personen.
13. Prediger Neuhaus wurde 1748 an die reformierte Gemeinde nach Soest berufen.

10. Vietor ist 1748 hier Prediger geworden, der aber wegen bekannter fataler Umstände sein Predigtamt niedergeleget. — Er war von Gartrop hierher berufen worden. Er heiratete nämlich die Besitzerin des hiesigen Gutes, die verwitwete Freifrau Carl Wilhelm von Grävenitz geb. von Heyden, apres qu’elle uet deux enfants par lui. — Er bekam den Titel Kriegsrat und zog nach Wesel. Vietor soll, als er hier Prediger war, dem Freiherrn von Strünckede noch 10 Taler geliehen haben. Nach Vietor war die Stelle drei Jahre unbesetzt. Dann kam xi. Johannes Leonhard Terstegen.

„Weil sich in Crudenburg kein Schulmeister und Vorsänger findet und der Prediger ein geringes Salair hat, und sein Haus schlecht ist, so soll eine Collecte beantragt werden.“ So schreibt das Crudenburger Kirchenbuch, und weiter: „Es wird gefragt, wo die 50 Thl. geblieben, welche exclario (altario) clev. zum Unterhalt des Predigers gegeben, da die Stelle drei Jahre unbesetzt war. Darauf wird geantwortet: Diese hat Herr Kriegsrat Vietor zu sich genommen und einen Handschein gegeben, der aber nicht gefunden wird. Es wird gefraget, wer in diesem Falle dem Kriegsrat zuerst das heilige Abendmahl gereichet. Antwort: D. Frentz in Brünen und 2. Terstegen, hier. Dem Herrn Prediger ist nunmehr der Handschein von Herrn Kriegsrat eingehändigt. Die hochlöbliche Regierung hat erlaubt, daß das Kapital der 50 Thl. wegen der bedrängten Kriegszeiten angegriffen werden kann, jedoch soll es später aus den Pastorat-Revenuen ersetzt werden.“
Leider schicken viele Eltern ihre Kinder in die lutherische Kirche, solche Unordnung soll abgeschafft werden .
Der Prediger stellt vor, daß in den reformierten Kirchen der Schulmeister oder Vorsänger vor der Predigt ein oder zwei Kapitel aus der Bibel vorlese und bei Krankheit des Predigers eine Predigt lese. So soll es auch hier gehalten werden. Hier war aber nur ein Vorsänger. Prediger Terstegen starb hier 1777, und seine Witwe blieb hier wohnen. Terstegen hatte immer viel Streitigkeiten mit den benachbarten lutherischen Geistlichen. So mit Hencke in Drevenack 1765. Derselbe hatte 1761 eine Frau von Schwarzenstein, Mitglied hiesiger Gemeinde, ohne Geläut und Leichenpredigt beerdigen lassen. Er wurde deshalb beim Richter Schürmann in Schermbeck verklagt. Der Richter hatte dem Prediger Hencke angesagt, wenn er wieder so etwas anfange, so solle der Prediger in Crudenburg das Recht erhalten, seine Gemeindeglieder in Drevenack selbst zu beerdigen und Leichenpredigt zu halten. Aus dem Strünckede-Dornburgischen Konkurse sind der Gemeinde von der Regierung in Kleve 53 Taler 20 Stüber übersandt auf Abschlag der 80 Taler, welche die hiesige Gemeinde zu fordern hat. 50 Taler hat Herr von Strünckede zur Zeit des Predigers Speck, 20 Taler zur Zeit des Neuhaus und 10 Taler wahrscheinlich zu Vietors Zeit erhalten. Mit den 70 Talern wurde der Garten belegt Consistorium hat zur hiesigen Herrschaft das Zutrauen, daß sie den Garten solange unentgeltlich belassen wird, bis die 80 Taler ganz zurückgezahlt sind. Der Prediger Vogelsang zu Wesel sucht Unruhe in unserer Gemeinde zu stiften, denn er hat den reformierten Schulmeister Sachs am Lurhaas aufgestockt, daß er unserm Prediger auf einer Kindtaufe die gesammelten Armengelder 1 Taler 8 Stüber abgenommen und ihn und das Consistorium beschimpft hat.
Durch allerhöchstes, Königliches Edikt, wird ein jeder dritter Feiertag von Weihnachten, Ostern und Pfingsten abgesetzt und anstatt der vier Bußtage am 8. September, 2. Dezember, 2 März und 2. Juni wird ein großer Bettag auf den Mittwoch nach dem Sonntag Jubilate und auf den Sonntag nach Michaelis ein Erntefest angeordnet; mithin der Himmelfahrtstag (der sonst auch immer samt dem Dreikönigs- und Michaelistag gefeiert wurde) auf den darauffolgenden Sonntag versetzt. Die Hagelfeier und Fastenpredigten sollen auch abgesetzt werden. 1773. In der Vakanzzeit von 1753 bis 1755 sind die Pastoratsrevenuen aufgeschwollen. Es ist nunmehr zwischen der Weselschen Klasse und dem Hause Crudenburg hierüber ein Vergleich geschlossen, daß der Prediger freie Kuhweide und den Garten haben soll, welches früher die Herrschaft umsonst vergönnte. Von jetzt ab gehört solches aber zum Gehalt. Im Jahre 1777 wurde
12. D. Schindler Prediger. „Das Predigerhaus ist schlecht“, der Freiherr von Quadt, Kurator des Hauses Crudenburg, will es reparieren lassen. In der Vakanzzeit 1753—55 sind eingekommen 268 Taler 15 Stüber 4 Deut. Dem Vorgänger, Meister Schulz, sind für das erste Jahr zugedacht 18 Taler, Schindler wird 1779 nach Orsoy berufen.

13- W. Brinkmann, Pastor.
„Der Vorsänger Schulz kann mit seinem Gehalt nicht bestehen“, wenn die übrigen Gemeindeglieder das auch wollen, so soll er am Sonntage das Essen bekommen, jedoch soll dies nicht als ein Recht angesehen werden. 1780 haben wir 50 Taler Geschenk vom König bekommen. Dem Vorsänger Schulz bezahlt 28 Taler. Brinkmann geht als Prediger nach Bochum. Consistorium will dafür sorgen, daß die kleinen Rechnungen von Sieberg und Nettelbus, welche vom Kurator von Quadt übernommen sind, aus dem Armenstock bezahlt werden, falls Kriegsrat Vietor sie nicht bezahlen will.
14. Mann, Prediger von 1781 an.
„Das Pfarrhaus ist schlecht. Die Regierung hat wieder 50 Thl. geschenkt 1782. Auch 1783
schenkt sie 50 Thl.
Der Freiherr Sigismund- Ludwig, Karl, Friedrich von Strünckede war 1783 Besitzer des Gutes Crudenburg geworden, und bald gab es auch etwas Neues. Er ließ bekanntmachen: Es soll von nun an der Gottesdienst um 10.30 Uhr angehen, welches der Gemeinde bekannt gemacht wird.“ 14. Dezember 1873. — Darauf folgt ein Gesuch an den König: „Seit dem Absterben der Frau Kriegsrätin Victor, die zwar schwächlich aber selten oder nie die Kirche versäumte, begann der Gottesdienst um 10 Uhr. Nach dem Gottesdienst werden noch die Kinder in der christlichen Wahrheit unterrichtet. Herr von Strünckede besteht darauf, daß erst um Vjii Uhr angefangen werden soll. Das darauf bezügliche Publicandum habe ich nicht abgelesen, sondern dem Pastor Vorstellung gemacht, da das Christfest vor der Thür und das heilige Abendmahl gefeiert werden soll. Darauf hat er dem Küster befohlen, nicht eher zu läuten als bis er von ihm Befehl habe. Wir sind zur Kirche gegangen, und während dem Singen ist erst geläutet worden. Die Gemeinde hat das ius präsentandi und hat schon seit 1726 ein Consistorium, das seit diesem Jahr auch den Küster besoldet, und sie steht schon seit 1662 unter der Weselschen Classe. In den Jahren 1726—28 ist zum Kirchbau eine Col-lecte gehalten, zu der des Königs Majestät selbst 650 Thl. geschenkt hat. So glaubt Consistorium berechtigt zu sein, den Anfang des Gottesdienstes bestimmen zu können. Ew. Majestät möge ihm befehlen, daß er unsere gute Ordnung nicht mehr störe.
Crudenburg, 23. 12. 1783. Mann.“
Von Strünckede antwortet hierauf, daß die hiesige Gemeinde sich nach dem Geläut in Drevenack richten müsse, da das hiesige nicht zu hören sei, und dort finge die Kirche erst um V211 Uhr an. Der König befahl ihm, sich nicht in die Gemeindeangelegenheiten zu mischen. Er ließ fortwährend erst um V^ii Uhr läuten. Am 29. Januar stand die Kirche, die eher einem Keller als einer Kirche gleicht, auch wirklich daraus entstanden ist, unter Wasser. Sie ist der Gemeinde zum Orte, den Gottesdienst darin zu halten, angewiesen worden, für Gelder, welche von Sr. Majestät zum Bau einer Kirche geschenkt und durch Kollekte eingekommen sind. Der Küster ist zugleich Gärtner und wohnt auf dem Schloß. Am 7. Februar wurde (wahrscheinlich auf Befehl der herrschaftlichen Frauenzimmer, denn der Herr ist abwesend), als die Predigt schon begonnen hatte, erst geläutet. Der Küster communiziert in der reformierten Gemeinde zu Gartrop. Ew. Majestät möge gestatten, daß wir ihn absetzen. Er bekommt jährlich 4 Thl. Gehalt.“ — Richter Pagenstecher in Wesel sollte der Gemeinde zu ihrem Recht verhelfen, der Herr gehorchte aber nicht. Erneute Beschwerde, und damit Ende. Vielleicht hat er gehorcht.
1784. Die Regierung befiehlt, daß die Zinsen von den geschenkten Geldern nicht mehr zur Besoldung des Vorsängers verwendet, sondern gespart werden sollen. Prediger stellt der Regierung die Unordnung vor, welche im Gesänge dadurch angerichtet würde. Regierungbleibt dabei. — Der Vorsänger, Meister Haak, wird also entlassen. Nach dem nächsten Gottesdienst allgemeine Beratung, da das Singen doch gar zu unordentlich gehet. Um Mittel zur Anstellung eines Schulmeisters zu bekommen, soll jedesmal beim Abendmahl gesammelt werden, und von Strünckede will jedesmal einen Taler bezahlen. Das Schulkapital beträgt jetzt 1000 Taler schlecht Geld.
Kollekte zur Reparatur des Pfarrhauses gehalten diesseits der Weser. Sie hat nicht viel eingebracht.
1785 wurde Lehrer Haak gewählt, welcher schon 1786 starb. 1788 wurde Groote Lehrer und 1792 im November Schievelkamp.
1785. Das Crudenburger Pastorathaus ist fast unbewohnbar. Der Landrat Eisner soll von der Regierung die Weisung erhalten haben, es zu besichtigen, und hat solches nicht getan. Dieses Haus gehörte nicht zur Fundation, sondern ist vor etwa 60 Jahren für die vom Prediger Beckmann eingesammelte Kollekte außer Landes gekauft worden. Die Gemeinde ist zu arm, um das Haus zu unterhalten.
1784. Die Konfirmation sämtlicher Prediger soll bei der Landesregierung nachgesucht werden. Die Geistlichen bitten um Aufhebung dieser Verordnung, erreichen aber nichts. Es bleibt dabei; sie werden zur Ruhe verwiesen. Das Rescript ist vom 26. November 1784. Die Prediger wenden in einer Eingabe dagegen ein, daß die Gemeinde hierdurch auf Kosten getrieben und ihnen hierdurch auch gewissermaßen die Wahlfreiheit eingeschränkt würde.
Die Märkische Synode stellt einen Antrag an den König um die Wiedereinführung des alten Himmelfahrtstages, da noch immer viele Gemeindeglieder die Feier auf den Tag wünschen, wo sie einfällt.
1787. Publicanda, die von der Kanzel nicht schicklich abgelesen werden können, sollen laut Königlicher Verordnung vom Küster abgelesen werden.
Pastor Mann starb im Jahre 1801. Die Stelle war 1V2 Jahre unbesetzt, und dann erhielt sie der bisherige Prediger in Castrop namens
15. Osthoff. Derselbe wurde am 20. Februar 1803 in sein Amt eingeführt.
1806. Da durch die Abtretung des Klevischen an Frankreich zu Gunsten Keiserl. Hoheit des Prinzen Joachim die bisherige Verbindung mit der Universität Halle aufgehoben ist, so fällt die Kollekte hierfür fort.
Die reformierten Geistlichen der Weselschen Klasse machen 1806 eine Eingabe an die französische Regierung in Düsseldorf, worin sie sich beschweren, daß sie Einquartierungsfreiheit genössen und doch damit bedacht würden. Antwort: Das soll auch aufrecht erhalten bleiben, aber der Magistrat zu Wesel ist in seinem Rechte, aber der Einmarsch der französischen Truppen und damit verbundene Einquartierung ist ein Fall außer der Regel.
1807. Für zweihundert Dornenpflanzen zur Aufbesserung und Schließung der durch die französische Einquartierung beschädigten Hecke des Pastoratgartens, das Hundert zu 18 Stüber. Daubach, Gärtner.
Osthoff wurde 1817 nach der Unionsfeier zum zweiten Pfarrer nach Hünxe gewählt, und die hiesige Stelle ging ein.
Die Gräfin von Quadt-Hüchtenbruch, welche damals Besitzerin von Gartrop war, sorgte dafür, daß die Einkünfte an die beiden Pfarrstellen in Hünxe, an die in Drevenack und an die in Gartrop verteilt wurden, denn von Strünckede war verarmt, und Gartrop hatte Crudenburg angekauft.

 

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