Die Wahrzeichen

 

Ein alter Bauernhof, eine Windmühle und ein Postamt alter Zeit

ERICH BOCKEMÜHL                                                                              Heimatkalender 1968

 

Eine Überschrift, deren drei Themen sich notgedrungen zusammenfinden müssen. Der alte Bauernhof befindet sich auf dem Gut Schwarzenstcin, einen Spaziergang weit vom Dorf Drevenack entfernt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er in der weiteren Umgebung als einziger in seiner ursprünglichen Art des Langhauses mit Wohnung, Stallung und Scheune unter einem Dach übriggeblieben. Manche Höfe dieser Bauweise sind den Bomben zum Opfer gefallen. Andere sind ohnehin, die alte Tradition verlassend, erneuert worden. Manche Besitzer haben bereits vor dem Krieg im Zuge der hygienischen Bedürfnisse und des besseren Lebens zustandes dem alten Haus eine Wohnstätte quer vorgebaut, mundartlich Twasbau genannt, im Sinne des Wortes, wie man einen Quertreiber als Twasdriever bezeichnet. Es erscheint aber notwendig, einmal auf die Ursprungsform des niederrheinisch westfälischcn Bauernhauses hinzuweisen, weil man in den letzten Jahren öfter der irrtümlichen Auffassung begegnet, daß die Form des Buchstabend T, also die T-Form, die ursprüngliche und überkommen; Der dem alten „Haus Schwarzenstein” gegenüberliegende und noch bewohnte Hof ist somit als ein Denkmal vergangener Zeit anzusprechen, zumal er aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts stammt, also fast 250 Jahre alt ist, und mit den kleinen Fensterscheiben und den umstehenden alten Bäumen einen freundlichen Anblick bietet, wie sich überhaupt die bäuerlichen Langhäuser infolge der einfachen monumental schlichten Art in das Bild der Landschaft gut einfügten. Die bis an die Fenster und Stockrosen und Georginen der kleinen Sommergärtchen tief hinabreichenden Dächer bildeten eine Wehr gegen die öfteren Stürme des ebenen Landes. Die Bauweise war zweckhaft, insofern auch, als sie wesentlicher billiger war als die fränkische mit den mehreren Gebäuden um den freien Hofraum.

Es mag einer fragen, ob es überhaupt von Belang sei, sich so eindringlich mit vergangenen Zeiten zu beschäftigen. Das Land der niederrheinischen sandigen Höhe war im Verhältnis zu dem fruchtbaren Boden des Stromtals mager und wenig ertragreich. Abgesehen von den Besitzern einiger größeren Höfe und Güter führten die Bewohner vor allem der kleinen Katstellen ein ärmliches Dasein. Im Heidekraut suchten Schafe ihre Nahrung, die Erde brachte nur geringwertiges Weidegras hervor und allenfalls Kartoffeln und Hafer. In einem Buch vom Regierungsbezirk Düsseldorf aus den neunziger Jahren unter der Überschrift „Heide” ist von Besenbindern die Rede, die ihre in den Wintern hergestellten Erzeugnisse mit der Schiebkarre in die Dörfer und Städte fuhren, um für das zu erhaltende Geld die allernotwendigsten Kleider zu kaufen. Im Volksmund heißt die kleine zarte Glöckchen oder Moorheide „Bessemshei”, und noch heute haben manche Eingesessene die Gewohnheit beibehalten, ihre groben Besen aus Ginsterreisern und ihre Spülbesen aus den dünnen Stengeln der Glockenheide eigenhändig zu verfertigen. Aufschlußreich für die Sparsamkeit der Vorfahren einer noch gar nicht lange vergangenen Zeit ist beispielsweise auch, was eine um die Jahrhundertwende alte Frau erzählte, nämlich, daß sie in ihren jungen Jahren auf dem Weg nach Wesel, wo sie auf dem Markt vornehmlich Eier verkaufen mußte, barfuß ging, um die sauber gescheuerten Holzschuhe zu schonen, die sie erst vor dem Berliner Tor anziehen durfte. Erst, als man gelernt hatte, Heide und Sumpf urbar zu machen und die Ackererde und Weide mit Kunstdünger zu verbessern, hoben sich die Lebensverhältnisse, die heute denen der natürlicherweise fruchtbaren Böden wenig mehr nachstehen.

Ist es nicht für die heutigen Menschen gut, sich des Lebens ihrer Vorfahren immer einmal wieder zu erinnern? Es ließe sich vieles darüber sagen, aber es mag in diesem Zusammenhang ein Wort des im Frühjahr 1967 verstorbenen Dichters Otto Brües angeführt werden, das zu bedenken Anlaß geben kann: „Wer einmal begriffen hat, daß Geschlecht um Geschlecht nacheinander an den großen Dingen baut, der will nicht alles innerhalb des kurzen Lebens zwingen. An dieser Überheblichkeit krankt die moderne Welt.”

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Wir fügen hinzu, daß immer die Tradition ihr Recht verlangen kann und daß die Erinnerungen an die Vorfahren und ihre viel schwereren Lebensmühen Veranlassung zu größerer allgemeinen Zufriedenheit geben und vor der unseligen Raffsucht unserer Tage bewahren können. Man errichtet Denkmäler großer Persönlichkeiten, deren Ruhm aber auch manchmal schnell verblaßt oder im Winde verweht, je nachdem die Konstellationen sind, insofern auch, als, wie der Weise sagt, nichts beständiger sei als der Wechsel — aber als ein Denkmal kann auch ein fast einziger alter Bauernhof betrachtet werden, wie eben auch der zum Gut Schwarzenstein gehörige, der zu mancherlei Beachtung und Betrachtung Anlaß geben konnte.

Vom Bauernhof kommen wir zur Windmühle, die zwar nicht mehr vorhanden ist, aber im Dienst der Menschen viele Jahrzehnte am Peddenberg in Drevenack die Flügel vom Wind hat drehen lassen, um mit der Räder Kraft und der Kraft bewegter Himmelsluft das Korn der Erde zu mahlen für der Menschen Not und Brot. Ernst Bönneken hat im vorjährigen Heimatkalender in Verbindung mit ihr aus seiner Jugendzeit in Drevenack erzählt. Die Windmühle stand als Ruine noch lange auf der Höhe zur „Neuen Schule” hin am Peddenberg. Peddenberg ist ein Flurname, Drevenack ist die amtliche Ortsbezeichnung. Aber die Gegend der Peddenberger Flur hat sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wie zu einer fast eigenen Ortschaft entwickelt. Man muß schon über ein Dutzend neuer Häuser aus dem Gedächtnis zu entfernen versuchen, um sich das Bild von vor fünfzig Jahren zu vergegenwärtigen. Heute ist eine moderne Geschäftsstraße entstanden, einst krönte die Windmühle den Hügel.

 

Zeichnung der ehemaligen Windmühle am Peddenberg in Drevenack

von August Oppenberg

 

Es ist uns mit einiger Mühe gelungen, ein Bild der im Jahre 1918 abgebauten Mühle zu bekommen. Auf einer wohl siebzig Jahre alten Ansichtskarte der Gastsstätte Schürmann an der Wesel—Münsterschen Landstraße (B 58, als welche sie der Autofahrer kennt) fand der Herr Bönneken aus Leverkusen ein ganz kleines Bildchen, nach dem es und einigen Aussagen mancher Leute mit gutem Gedächtnis dem Kunstmaler August Oppenberg aus Wesel, der in Drevenack recht heimisch ist, möglich war, das Bild der Mühle von einst zu zeichnen. Wie das Leben und Treiben um die Mühle vor sich gegangen ist, mag man im Heimatkalender des vergangenen Jahres nachlesen. Zudem gibt es noch alte Frauen und Männer, die sich daran erinnern, wie sie selbst den Brotteig, den die Mutter gemengt und geknetet hatte, zum Müller, der zugleich auch nebenher einen Backofen betreute, bringen mußten, und auch, wie die Väter oder Nachbarn mit der Pferde- oder auch ehedem noch Ochsenkarre das Korn zur Mühle und das Mehl mit nach Hause brachten.

 

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Und noch ein Drittes hat sich im Hinblick auf eine Bildwiedergabe ergeben, Der Herr Bönneken hat ein Bild von der alten Post fotokopieren können und dem Heimatkalender zur Verfügung gestellt, also eine Wiedergabe der alten Post, die ehedem eine lange Zeit nicht nach Drevenack ihren Namen hatte, sondern amtlich „Post Peddenberg” hieß. Herr Bönneken hat sich um die Geschichte der eigenen Familie sehr bemüht und dabei manches aus der Dunkelheit ans Licht gezogen, was viele Drevenacker und manche Heimatfreunde dazu wohl zu interessieren vermag. Seltsam aber ist es, daß einiges seinem Bericht widerspricht, nämlich so mancherlei, was sich „die Leute so erzählen.”

Das genannte Bild ist das der alten Post und zugleich der Gaststätte August Schüring (heute Paul Nossack), die 1899 einem Brand zum Opfer fiel, aber gleich wieder aufgebaut wurde. Wir wissen, daß der Gastwirt August Schüring schon im alten Haus der Postverwalter der Postagentur war, eine Zeitlang auch das damalige Fräulein Else Bönneken, später Frau Dietrich Bohnekamp. Der Bauer Hermann H. vom „Siebenstern” auf dem Wachtenbrink, der 1881 geboren wurde, hat, wie er sagt, bei Schüring und auch bei Fräulein Bönneken, bei der es „immer so gut nach 4711 geduftet” habe, den „Sprecher” abholen müssen, die damalige Weseler Zeitung der Druckerei und Buchhandlung Vincke und Mallinckrodt. Er wußte auch noch, daß ihm sein 1817 geborener Großvater vom Postillion der Postkutsche erzählt habe, der von Schermbeck kommend bei Wortelkamp in Damm in sein Hörn getutet habe, welche Musik man gedeutet habe: „Wortelkamp tütütü, Royer es noch wiet, wiet, wiet . . .” Es deutet dies wohl darauf hin, daß er sich noch einen trinken könne, der gestrenge Postmeister Royer ist noch weit. Aber die Leute glauben noch mehr zu wissen: Die Poststelle sei ehedem an dem einige Minuten nach Wesel zu gelegenen Peddenbergshof gewesen, und dort habe der alte Postbote, dessen Name noch bekannt ist, die Post abgeholt und sie der möglichen amtlichen Schriftstücke wegen der Ortsbehörde, dem Pastor, Lehrer und Förster und einigen Bevorzugten überbracht, allen anderen dagegen gelegentlich und vorzugsweise auch am Sonntagmorgen an der Kirche. Wahrscheinlich nach seiner Pensionierung habe man auf seinem Speicher in dem Haus, das als damaliges Wohnhaus noch heute im Dorf zu erkennen ist, aber als Viehstall benutzt wird, einige Körbe voll unbestellter Briefe gefunden. Zur Rede gestellt, habe er sich zu rechtfertigen gesucht, daß er ja nicht dafür könne, „wenn die Leute so wenig zur Kirche kämen.

Das erzählt man sich heute noch, und der alte Vater Soundso meinte scherzhaft dazu, es habe „auch so gegangen”. Gewiß: Wann bekam ein Bauer oder Kätner zu damaliger längst vergangener Zeit einen Brief? Immerhin aber muß nach der Mitteilung unseres Leverkusener Gewährsmanns sein Urgroßvater Postmeister Royer beruflich sehr streng gewesen sein, und sollten ihm etwa solche Zustände verborgen geblieben sein?! Und in späterer Zeit der Ped- denberger Postagentur wären Unterschlagungen von Postgut überhaupt unmöglich gewesen und gegebenenfalls sehr streng geahndet worden. Es handelt sich wahrscheinlich um einen typischen Fall einer Unterschiedlichkeit hinsichtlich von Überlieferung und historischer Wirklichkeit, der nur sehr schwierig aufzuklären ist, vorausgesetzt, daß die Möglichkeit überhaupt besteht. Die historische Wirklichkeit in allen Ehren, aber ohne Ursache kommen solche Überlieferungen auch nicht zustande, und was sich im Volk so ein Jahrhundert hin erhalten hat, veranlaßt ja auch Rückschlüsse volkspsychologischer Art. Zudem ist eins ZU bedenken: Wenn man einem unter dem „Siegel der Verschwiegenheit” etwas anvertraut, und der gibt es trotzdem dem nächsten vertrauenswerten Freunde weiter, und der tut dasselbe, dann stimmt das, was beim achten oder zehnten ankommt, mit der wirklichen Tatsache in fast nichts mehr überein. Vielleicht aber findet sich jemand zu dem Versuch bereit, Überlieferung und Geschichte in einer Erzählung mit Hilfe der Fantasie zu einigen, worin sich dann ergeben wird, daß weder die Überlieferung noch die Historie ZU ihrem Recht kommen. Und somit U wir’s am besten so, wie es ist, und begnügen uns damit, daß wir das Bild der alten Post dar» bieten können, womit uns dann gelungen sein könnte, Bauernhaus und Windmühle und Posthaus in einen Zusammenhang gebracht zu haben. Der Zusammenhang ist neben anderem das Alter, das man bekanntlich ehren soll.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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