Otto Pankok

Otto Pankok . . .
zu seinem 70 Geburtstag – von Erich Bockemühl

Heimatkalender  Landkreis Rees im Jahre 1964

Daß der Kunstmaler, Graphiker und Plastiker, Professor i. R. der Düsseldorfer Kunstakademie Otto Pankok, mit seiner Gattin und Tochter seit mehreren Jahren im „Haus Esselt”, unweit Wesels am Isselflüßchen friedsam zurückgezogen, immerfort schaffend, wohnt, kann den Lesern des Heimatkalenders nicht verborgen geblieben sein, auch nicht, daß es ihm vergönnt war, am 6. Juni des  vergangenen Jahres seinen 70. Geburtstag zu  erleben. So viele Besucher an einem Tag hat  das alte Jagdschlößchen in seinen felsenstarken Mauern noch nie zu bergen brauchen. Diese Tatsache mag schon allein als ein Zeichen großer Beliebtheit gelten. Nicht weniger aber oder noch mehr erwies sich die mit edler kongenial interpretierter Musik umrahmte, von der Vaterstadt Mülheim veranstaltete Feierstunde, verbunden mit einer ausgezeichnet arrangierten Ausstellung im Festsaal der Stadthalle am 30. Juni als eine Dokumentation dafür, daß sich des Meisters in den vergangenen Jahrzehnten vielfach umstrittenes Werk nicht nur bis zu  seiner Anerkennung,  sondern  schlechthin zur Verehrung durchgerungen hat, und zwar  ohne  managerhafte  Propaganda,  sondern lediglich dadurch, daß es da ist, geworden aus der Genialität einer seltenen künstlerischen Berufenheit, verbunden mit dem ursprunghaft menschtümlichen Wesen seines Gestalters.

1933/34 wurde das als Buch erschienene Werk der 60 großen Kohlegemälde „Die Passion” auf Anordnung der damaligen Machthaber eingestampft, die 1936 mehrere Lastkraftwagen mit Bildern und ebenso hochwertigen Plastiken abschleppen und vernichten ließen. Es wurde in den Jahren nach dem Krieg durch den Rundfunk bekannt, daß Pankok im Einverständnis mit Frau und Tochter Juden verborgen gehalten und gerettet hat. Eigene Lebensgefahr, eigene Mitleidsnot hatten ihn nicht gehindert, an seinem Werk zu schaffen, vielmehr war es die Not seiner Seele, aus der die große Verkündigung der „Passion” wie auch das „Zi-geuner”-Buch, auch das Holzschnittwerk von den „Räubern des Liang Schan Moor” hervorgegangen sind.

Ist nicht aber jede wahrhaft große Kunst (Rembrandt, Beethoven, Hölderlin) aus dem Leid hervorgegangen, der Problematik des widerspruchsvollen Lebens, jener allverbindenden Liebe zutiefst religiöser Wesenheit, jenem „Dennoch” der in sich gesicherten Persönlichkeit, die unter dem Zwang des höheren Auftrags den Ausgleich fand und findet?! Schon in dem 1930 erschienenen Buch mit 150 Reproduktionen, „Stern und Blume”, hat der sich selbst bekennende Autor instinktsicher vorausgesagt, was sich mit ihm und um ihn ereignen konnte, und seine „Zehn Gebote für den Künstler” haben sich in dreißig Jahren mehr und mehr bestätigt.

„Es hat eine Zeit gegeben”, so schreibt er, die „Passion” einleitend, „in der die Menschen herablassend und mitleidig über das Wort Albrecht Dürers lächelten: Kunst ist die Darstellung des Lebens und Sterbens unserer Herrn Jesus Christus . . . jenes Christus allerdings, der Idee, Wesenheit, Prinzip und Aufgabe ist in der Art, wie er (Joh. 8. 58) sagt: ,Ehe denn Abraham ward, bin ich’, nämlich vor allem Anfang und über alle überschaubare Zeit hinaus die einzig das Leben dieser Welt erhaltende Liebe.”

In dieser Hinsicht ist das Wesen Pankoks auch in seinem gesamten Werk unendlich geweitet in einem sozialen Sinn, der der Armut, dem Elend, der Not zugestimmt ist und in welchem sich seine charaktuell und sicher gezeichnete Persönlichkeit bestätigt. Wer aber dem Leben vorbehaltlos zugeneigt und ergeben ist, der vermag auch zu lachen und gelegentlich seines Geburtstags zu schreiben: „. . . übrigens ist 70 eine fatale Zahl. Ich komme mir als mein eigener Großvater vor, wenn ich schreibe. Man hat sich das gar nicht so richtig ausgemalt, wie das ist. Ob man sich daran gewöhnt? Ich glaube nicht. Die Sache bleibt mies.” Wer so zu schreiben vermag, der wird weiter schaffen, und vor allem auch hat er den Humor, der sich auch in seinen Gestaltungen vielfach zeigt, der aber das voraussetzt, was wir unter„Persönlichkeit” verstehen wollen. Humor auch aus Resignation? Und wenn schon — aber Humor aus Güte zum anderen und zu sich selbst.

Otto Pankok war in vielen Landen, in denen sich sein schöpferisches Wesen beheimatet gefühlt hat. Saarn war noch ein Dorf, als dem Sohn des Arztes, der sein Vater war, das Leid der Menschen schon früh entgegentrat. Der alte Museumsdirektor i. R. Dr. Werner Kruse hat in Mülheim am 30. Juni ein ergreifendes Bekenntnis zu Pankok ausgesprochen. Er konnte es, weil er dem aufstrebenden jungen Menschen schon früh zugetan war und 1933 den Mut hatte, die 60 Bilder der „Passion” auszustellen, und „nicht nur das Museum, sondern”, wie es in dem vornehm ausgestatteten Programmheft heißt, „auch durch zahlreiche Bürger wurde seine Kunst fest im Bewußtsein der Stadt verankert.” Worte, die in unsern Tagen selten und um so mehr zu beachten sind. Pankok hat in den Jahren und Jahrzehnten in Norddeutschland, Sardinien, Capri, Catalonien, Oberyssel, im Rhonedelta, Spanien, Jugoslawien gewohnt und gewirkt und zwischendurch zweimal in Drevenack, in den Jahren 1926 und 1927, von wo aus er auch sein jetziges Domizil kennenlernte.

Aus dem gesamten Werk tritt neben dem Menschen auch die Natur und mit ihr die Landschaft integrierend, unerläßlich notwendig hervor. Gewiß verwandelt sich ihr Bild in die innere Anschauung, und wer das in dieser Arbeit bereits Gesagte in Erwägung zieht, wird es verstehen,  wenn   man  nachdrücklich  darauf  hinweist,  daß  in  den  Naturdarstellungen  der Mensch, auch wenn er körperhaft nicht zugegegen, aber als der in der Intuition „Andere” im Unterbewußtsein mitvorhanden ist. Zudem wird die äußere Natur durch das Interesse jedes besinnlich Betrachtenden erst belebt. Es ist die unerklärlich formwirkende Kraft der Seele, in der sich jene Harmonie vollendet, die das organisch hervorgegangene Kunstwerk darstellt. Es beruht auf der Weite der Seele des in sich Schauenden, daß das naturhaft Einmalige nur die Veranlassung zu dem ist, was sich visionär zum Übersinnlich-Allgemeinen steigert. Einem Künstler und Menschen wie Otto Pankok muß man schon das Vertrauen entgegenbringen, daß das, was er darstellt, nicht einer Willkür unterliegt, sondern daß es aus tieferen Gründen unbedingt wahr ist, eine nicht wegzuleugnende Wirklichkeit. Und wer nicht gleich mit einem Bild sympathisieren kann, der soll die Ursache nicht im Künstler, sondern in sich selber suchen. Ein Werk der Kunst kann und darf auch nur an sich selbst gemessen werden, und nicht etwa an der Natur, man kann es allenfalls als eine andere oder höhere Natur anerkennen, aber es ist durch das Erleben des Menschen gegangen, der sich in seiner seelischen Struktur nicht selbst geschaffen hat und schließlich doch darum auch unter einem göttlichen Auftrag steht. Die Ehrfurcht ist es, die heute vielfach fehlt, und begreiflicherweise in einer Zeit, in der es Leute gibt, die glauben machen wollen, daß ein Werk der Kunst nichts anderes sei als die Anwendung einer Geschicklichkeit.

Es ist zudem auch ein erfolgloses Beginnen, Pankoks Bilder interpretieren zu wollen. Wer es nicht fühlt, erjagt es nicht, nicht wer die Demut hat, sich einem Werk hinzugeben, der muß für ihn selbst bedauerlicherweise abseits stehen. Das Bild im Dunkel des Friedhofs wie auch das des bäuerlichen Leichenzuges unter der kosmischen Gewalt der aus den Wolken hervorstrahlenden Sonne stammen aus der Drevenacker Zeit, wie auch wohl jenes, in dem ein Mensch, seinen Tieren den Rücken kehrend, einsam vor dem Rätsel der Unendlichkeit steht. Überwältigend ist in solch großen grau-weiß-schwarz getönten Kohlegemälden die Einbezo-genheit ins Kosmische, die Wirklichkeit wiederum des Kreatürlichen, wie eben erst aus der Schöpfung hervorgegangen, und nicht minder jene versinnbildlichte Realistik eines Bauern mit dem sich aufbäumenden Pferd. Es darf wohl gesagt werden, daß unter den zahlreichen Malern, die seit der Jahrhundertwende in Drevenack tätig waren, Pankok derjenige ist, der auch die vielfach verborgene Dämonie dieser „alten Landschaft”, wie sie sich ehedem noch mehr als heute darbot, erfaßte.

„Er lebte mit uns in unserer kalten Stadt” ist ein Wort, das, wie auf Dostojewskij, auch auf Pankok anzuwenden wäre. Es ist auf engem Raum nicht möglich, das gesamte Werk in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, seiner Fülle, episch-dramatischen Macht und wiederum vielfach lyrischen Schönheit auch nur anzudeuten. Im Frühjahr wird ein umfassendes Buch erscheinen, das mit 96 Seiten Text und 132 Kunstdrucktafeln „Das Werk des Malers, Holzschneiders und Bildhauers” kennzeichnen wird, des Mannes, den einer, der es zu verantworten wußte, den „Rembrandt unseres Jahrhunderts” nannte.

 

 

Es gibt zur Zeit keinen Künstler, der so tief in die menschtümliche Problematik unseres Lebens überhaupt hinabgestiegen und zugleich ein Künstler solcher Kraftentfaltung und Begnadigung ist wie Otto Pankok im „Haus Esselt” im Kreise Rees.

Frei glauben die Menschen zu sein, wenn sie ihren Gelüsten gehorchen dürfen.

                                                                                                  E. v. Feuchtersieben

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