Gute alte Zeit

Die gute, alte Zeit                                                                     von Kurt von Mallinkrodt

Weder zur Ehre noch zur Schande irgendwelcher Einzelpersonen sei die folgende Begebenheit aus der südlichsten Ecke unseres Kreisgebietes erzählt, vielmehr zu dem Zwecke, gewisse romantisch-schwärmerische Vorstellungen von der guten, alten Zeit” vor etwa 250 Jahren zu berichtigen.

Die Geschichte läßt wohl trotz ihres kargen, historischen Aneinanderreihens nüchterner Dokumente genügend an Dramatik und Spannung aus den frühesten Kämpfen unserer Vorfahren um ein geringes Maß von Freizeit und Mitbestimmungsrecht gegenüber der Allmacht der Feudalherrschaften erahnen.

Seit etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Ortsnamen Hünxe und Crudenburg ins Licht der Geschichte treten das soll heißen, seit in irgendwelchen Dokumenten diese Namen erwähnt werden , sind die Besitzer des Hauses Crudenburg die Patronatsherren der Hünxer Kirche. Sie setzten also den hiesigen Bewohnern ihre Geistlichen ein. Daher hielt es auch um 1715 der Herr Johann Sigismund Wilhelm Freiherr von Heiden (Heyden), Sr. königlichen Majestät in Preußen bestallter General von der Kavallerie, Gouverneur der Festung Lippstadt und Droste des Amtes Wetter, Herr zu Bruch, Rahde, Crudenbürg, Lichtenvoerde, Wildenburg, Schwarzenstein und Oedendahl, für sein alleiniges Recht, in Hünxe einen neuen Pastor einzusetzen.

Als der Hünxer Pastor Scheibler 1715 gestorben war, lud der Vicarius Overkamp im Auf- trage des Präses der Synode Dinslaken mit Namen Scriver, Pastor zu Gahlen, die Gemeinde zu einer Neuwahl ein. Das bekam ihm aber schlecht, denn Herr von Heiden wollte der Gemeinde Hünxe das Wahlrecht nicht zuerkennen, sondern behauptete, daß er ohne weiteres einen neuen Pastor einsetzen könne. Nun war er aber reformiert, während die Gemeinde lutherisch war. Overkamp erhielt folgendes Schreiben:

Weilen der Vicarius Overkamp die Gemeinde vom Kanzel herab zur Pfarrwahl eingeladen, so wird selbiger zu einer Brüchte von 10 Goldgulden verurteilt. Dieselben sollen in Zeit von 24 Stunden sub poena executionis bezahlt werden, und der Vogt Giesbertshat ihm solches mitzuteilen.

Wesel, den 24. Sept. 1715. W. v. Heiden”

Also wurde aus der Wahl nichts. Die Synode Dinslaken zeigte die Sache der Provinzial Synode an, und der Inspektor derselben, Kaiser, beauftragte den Pastor Scriver zu Gahlen, die Wahl abzuhalten. Derselbe berichtet hierüber folgendermaßen: Nach der Königlichen Kirchenordnung und auf schriftlichen Spezialbefehl des Herrn Inspektors hat der Präses der Classe (Synode) zu Dinslaken, Prediger B. Scriver zu Gahlen, am 11. Dezember die Predigerwahl angekündigt und auf Begehren der Deputierten des Kirchspiels den Termin auf Freitag nach Neujahr festgesetzt. Rigerus, Pastor von Dinslaken und Hencke aus Drevenack sind dazu auch eingeladen worden. Danach ist des Herrn v. Heiden Diener, Erlemann (Rentmeister), zu uns in die Sacristei kommen und hat gefragt, ob wir Königliche Kommission (Auftrag) hätten, dies zu tun. Wir haben uns auf die Observanz (Gewohnheitsrecht) berufen. Er hat uns angekündigt, daß Sr. Exellenz die Wahl nicht wollte zugeben. Er kündigte uns zu unserem und der zuhörenden Gemeinde Ärgernis den Arrest an. Da wir nun des Generals Befehl zu sehen wünschten, reichte er uns denselben mit der eigenhändigen Unterschrift, und darin war bei 25 Goldgülden Strafe die Wahl verboten. Erlemann ging daraufhin fort, und wir trugen ihm einen Neujahrswunsch auf an den General. Ohne weiteren Verzug nahmen wir darauf die Wahl vor. Dann sind wir in die Herberge gegangen, um zu essen, da ist man mit Gewalt und mörderlich Gewehr zu uns eingedrungen, wie die Kammertür noch zeugen kann.

Gahlen, den 18. Januar 1716. B. Scriver.”

Die da mit Mordgewehren heranrückten, waren keine anderen als die Krudenburger mit ihrem Rentmeister an der Spitze. Diese gingen gerne, denn sie waren meist reformiert. Die Synode wandte sich nun an die Regierung zu Kleve. Diese sandte dem General durch den in Wesel von wegen des Reichskammergerichts stationierten Kaiserlichen Notar de Berth den Befehl, die Gemeinde in der Wahl nicht zu stören. Sein Bericht hierüber ist ein wunderschönes Bild des ganzen Reichskammergerichtes. Man lese:

Den 20. Februar 1716 habe ich offenbarer Kaiserlicher und am Königlich-Preußisch-Clevisch-Märkischem Hof immatrikulierter Notarius Gerhard de Berth, nebst ersuchten 2eugen, mich nach der Wohnstatt des Generals v. Heiden (zu Crudenburg) verfüget, den Befehl dem General zu übergeben; er ging weg und sagte, er wolle den Kammerdiener rufen, derselbe hat gesagt: ,Monsieur, Ihr müßt es an den Gerichtsschreiber Stronck abgeben.’ Ich antwortete, daß es ein Königlicher Befehl wäre und zeigte die Anschrift, worauf er gesagt, sie nähmen aufs Haus keine Insinuationen (Zustellung) an. Darauf bin ichmit den Zeugen nach der Wohnung des Gerichtsschreibers Stronck gegangen. Die Magd sagte, er wäre nicht zu Hause. Da ich nun nach der Frau gefragt, ist die Magd in dieKammer gegangen und gesagt, sie könnte nicht kommen, denn sie hätte kranke Kinder. Habe die Magd wieder geschickt, aber die Frau wollte nicht kommen und sagen lassen, sie hätten fremde Leute. Wonach ich nach der Kammer gegangen und durchs Glas keine gesehen. Da sie die Tür nicht öffnen wollte, habe durchs Türglas gerufen, daß der General mich gesendet. Da sie es nicht annehmen wollte, habe ich es in die Küche gelegt, die Frau hat aber gerufen: ,Was gehet mir es an. Er mag . . .”, und als ich gegangen, hat mir die Magd den Befehl zurückzunehmen hart anbefohlen; ich bin meines Weges gegangen, die Magd hat es in Händen gehabt und gerufen, sie wolle es auf die Straße werfen. Geschehen Wesel, wie oben im Beisein der Zeugen de la Croix und HermannDollberg. C. de Berth.”

Um nun dem Streit ein Ende zu machen, überrumpelte Herr v. Heiden die Gemeinde Hünxe mit einem neuen Pastor. Dieser hieß Dräghorn.

Die Synode rief jetzt die letzte Instanz, nämlich den König selbst, an. Dieser sandte Befehl an die Klevische Regierung, die Kläger klaglos zu stellen. Herr v. Heiden aber dagegen behauptet, daß die Leute mit Dräghorn ganz zufrieden wären und nur aufgewiegelt würden. In Wahrheit aber soll kein Mensch bei Dräghorn in die Kirche gegangen sein.

Inzwischen bat die Gemeinde den König Friedrich Wilhelm I. um Bestätigung des von ihr am Freitag nach Neujahr gewählten Predigers Demrath, Feldprediger im Pannewitzschen Regiment. Das Schriftstück lautet: Allergnädigster pp. König!

Gott sey gedanket für Ew. Majestät glückliche und hocherfreuliche Ankunft. (Er war ins Klevische gekommen.) Wir haben den Feldprediger beim hochlöblichen v. Pannewitzschen Regiment Demrath einhellig zu unserem Pastor erwählet. Der General der Kavallerie Freiherr v. Heiden hat uns wider unsern Willen einen namens Dräghorn aufgedrungen, unterm Vorwand, als wenn er solches zu thun de secula ad seculum in possession gehabt. (Seit Jahrhunderten berechtigt sei.) Es sollte uns zum erstenmal Gewissenszwang angelegt werden. Wie wir darinnen nicht willigen können, da fing man grausame Dinge an, den obtrodirten (aufgedrungenen) Dräghorn anzunehmen, uns zu zwingen. Einige von uns, auch Prediger und Notarien, wurden körperlich arrestieret und mit 4 Schützen oder Kätherern wie Schelme und Diebe in Arrest gehalten; einige wurden in einen Diebesthurm geworfen. Ein Gerichtsschöffe, Albert Meyer genannt, fiel im Thurme in Ohnmacht und wurde darinnen fast zu Tode gebrannt. Unser Bauerrichter (aus Hünxe) wurde von seinen armen, stockalten Eltern, Frau und Kindern des Nachts unter grausamen Stockschlägen bei den Haaren von sieben Soldaten fortgeschleppt und zu Kriegsdiensten gezwungen, worüber selbige an den Bettelstab gerathen. Andere bedräuet man gleichfalls mit dem blauen Rücken, und andere wollte man mit einer Strafe von vielen Goldgulden anstrengen. Bey Hochlöblicher Clevischer Regierung wurde unseretwegen hart geklagt, worauf eine Inquisition vorgenommen ist. Wir baten inständigst, der gewaltsam eingesetzte Dräghorn möchte entlassen werden, weilen die angebliche possession nicht erwiesen ist, derselbe aber die Gemeinde gänzlich zerrüttet, da man bei ihm nicht in die Kirche geht noch gehen kann. Am heiligen, nächstverwichenen Osterfest ist keiner zum Abendmahl gegangen, da sonsten wohl bei 1000 Communicanten gewesen. Am Pfingstfest ist ebenfalls nicht communiciert, indem das Gewissen nicht zuließ, einen solchen gewaltsam obtrodirten Prediger einen göttlichen Beruf zuzuschreiben. Wie billig dies Suchen war, so haben wir alles Bittens und Flehens ungeachtet dennoch nicht dazu gelangen können. Wir bitten, das Dräghorn entfernt und Demrath berufen werde.

Wesel, 6. Juni 1716. Dr. Johann v. Oven.”

Damit nun die Gemeinde ihr Wahlrecht nicht beweisen konnte, so hatte der General bei Scheiblers Tode alle Kirchenakten angefordert und wollte sie nicht wieder herausgeben. Der König ließ dem General dann den Befehl zugehen, daß er Demrath bestätigen und die Kirchenakten herausgeben sollte. Der Rentmeister Erlemann, Gerichtsschreiber Stronck und der Gerichtsvogt Giesbert sollten sich verantworten wegen Excessen. Diese Ordre erschien am 7. Juni 1717. Herr v. Heiden gehorchte nicht. Am 15. Februar 1718 erließ der König den Befehl, daß Demraths Wahl dem Regiment sollte mitgeteilt werden, das- selbe stand in Geldern, und Demrath sollte sich gleich nach Hünxe begeben. Auf welche Weise v. Heiden dies verhindert hat, weiß man nicht. Unterm 27. April 1718 aber ging die Königliche Ordre ein, daß die Gemeinde drei neue Pastoren wählen sollte, und einen hiervon sollte v. Heiden bestätigen. Wiederum aber verging ein Jahr, ehe dies zur Aus- führung kam. 1719 am 7. Februar heißt es:

Da der Inspektor Kaiser schon zu alt ist, so soll Pastor Vorstius aus Emmerich und Dahle aus Wesel die Wahl abhalten.

Cleve, 7. Februar 1719. Königliche Regierung.”

Inspektor Kaiser, der doch kam, berichtet nebst Vorstius also:

Vicarius Overkamp in Hünxe hat die Wahl auf den 23. März angesetzt und die ganze Gemeinde eingeladen. Ich, Inspektor Kaiser, und Vorstius sind zur Wahl gewesen. Ich habe erst gepredigt und dann die 3 vom Kirchenrath aufgestellten zu wählenden genannt. Stronck ist mit unterschiedlichen Leuten aus der Crudenburg aufgetreten mit einer Protestationsschrift des Generals in Händen. Wir haben ihnen die Sentenz entgegengehalten, besonders, daß der General bei der Wahl nicht concuriren sollte, und sie zur Ruhe ermahnt. Stronck und seine Leute haben ein solches Geschrei in der Kirche gemacht, daß wir in die Sakristei gegangen. Die herrschaftlichen Diener aus Crudenburg sind uns dahin nachgefolgt, und wir mußten die Wahl aufgeben. Am Abend vorher hat der General seine Leute durch den Boten pönealiter citiren lassen, und ihnen lassen sagen, daß sie alle ohne Unterschied der Religion in die Kirche gehen sollten, und sie wüßten schon, was sie zu thun hätten. Den Vicarius Overkamp hat er wegen der Bekanntmachung sehr ungnädig zu bestrafen bedroht. Wir bitten Ew. Majestät, der Gemeinde Ruhe zu schaffen.

Wesel, den 23. März 1719. Kaiser Vorstius.”

Obige Verhandlung wurde sofort an die Regierung in Kleve abgesandt, und nach zwei Tagen traf der Bescheid ein, daß sie sich an den Richter Schürmann zu Schermbeck wenden sollten, damit dieser Ordnung bei der Wähle schaffe. Stronck sollte nun endlich be- straft werden, der General natürlich nicht.

Am 28. März 1719 wurde wieder eine Wahl abgehalten und der Regierung darüber, wie folgt, berichtet:

Wir sagen Dank für Ew. Majestät Befehl und haben am 28. ds. Mts. wieder eine Wahl anberaumt. Wir haben den Richter von Schermbeck daselbst angetroffen. Tags zuvor hat der General dem Küster durch den Gerichtsschreiber Stronck bei Strafe von 25 Goldgulden anbefehlen    lassen,   die   Schlüssel   abzugeben,  welche   aber  der  General    ihm   wieder zuzustellen  anbefohlen.    Wir   ließen  ein  Zeichen  mit  den  Glocken  geben.   Mit  den Vorstehern   begaben   wir  uns  in   die  Sacristei  und  lasen  ihnen  das  Rescript   vor. Darauf   machte  ich,   Vorstius,   mit   einem   andächtigen  Gebet  vor    dem   Altar   den Anfang   und   intonierte  den  Gesang:  Komm   heiiger   Geist,  Herre  Gott . . .   Danach trat Inspektor  Kaiser vor  den  Altar   und  erinnerte an vergangenen  Donnerstag, den 23. d. M., wie die Wahlpredigt gehalten und die Wahl durch Strunck und seine Leute gestört worden sey, daß wir Klage beim König geführt. Es wurde nun  das Rescript verlesen und die Namen der drei Prediger, welche gewählt werden sollten. Nachdem dies geschehen, kam  der  vom Gerichtsschreiber  Stronck   beauftragte Notarius Wichmann von Wesel mit der ganzen Suite der vorigen Ruhestörer zu etwa 6 oder 7 heran, eine Schrift in Händen habend, fing an zu reden und wollte sein Papier darreichen; denn Stronck hatte durch den Weselschen Gerichtsboten Jansen einen Befehl des Königs erhalten, daß  alle Ruhestörung bei Strafe von 200 Goldgulden untersagt waren. Wir hielten Wichmann die Königliche Verordnung entgegen und ermahnten sie zur Ruhe. Der Notarius trat darauf bei Seite und behielt meine Schrift in Händen. Die anderen fingen wieder an zu schreien. Viele hatten sich mit hitzigen Getränken übernommen und waren auch desto hitziger. Wir wandten uns nun an den Commissarius, Richter Schürmann. Er notirte einige Namen und gebot, bei pön von 200 Goldgulden zu schweygen. Dann wurde es stiller, die Namen der 6 notirten wurden verlesen. Wie wir nun die Vorsteher und hernach die Bauerrichter mit ihren Bauerschaften ordentlich vor uns forderten, erfuhren wir mit großer Bestürzung und Leidwesen, daß eben in der Nacht vom Montage auf den Dienstag ein Kommando aus Wesel dem Schompermann (Bauerrichter zu Bruckhausen) ins Haus gefallen, denselben alten, lahmen Mann gesucht, dessen  Frau und  Magd geschlagen, das Fleisch heruntergestoßen, gekocht und verzehrt und viel Wacholderwasser und Bier aufgetrunken. Viele Leute sind daher sehr erschreckt und aus Furcht, daß die Wahl nicht glücken möchte, zu Hause geblieben. Es sind auch am Ende der vorigen Woche etliche Crudenburgische und Hünxische  gezwungen worden, sich wider die Wahl schriftlich zu erklären  und zu verbinden, weshalb diese auch nicht erscheinen  durften. Als wir nun zuerst die Hünxi sehen zu uns beriefen, haben wir eine gute Weile warten müssen, und da weiter keine kamen, erschienen die ordentlich beieinander, welcher Namen und Stimmen richtig aufge- zeichnet stehen. Als alle gestimmt, trat ich, Inspektor, vor den Altar und las die 3 Gewählten vor, nämlich: Ruhloff zu Isselburg, Beeck zu Rees und Rigerus, Vicarius zu Gelsenkirchen. Mit Gebet und Segen ward darauf geschlossen.”

Herr v.  Heiden sollte nun einen der drei Gewählten bestätigen,  tat es aber nicht. Da sandte König Friedrich Wilhelm I. folgendes Schreiben an die Gemeinde: „Friedrich Wilhelm, König pp.

drei Erwählten  anstellen Berlin, den 19. Juni 1719.

Wenn der Freiherr von Heiden einen der drei präsentirten Subjecten in vier Wochen die Collation nicht ausstellt, so habt Ihr solches zu berichten und Wir werden einen von den drei Erwählten  anstellen.

Zugleich erhielt der General folgendes Schreiben vom König:

Friedrich Wilhelm, König pp.

Ihr habt keine Beweyse beygebracht, daß Ihr das Wahlrecht allein habt. Wo Wir Patron sind, lassen Wir den Gemeinden  auch  die freie  Wahl,   als Vasall müßt   Ihr Unserem Exempel folgen, und der Gemeinde zu Hünxe auch die freie Wahl lassen. Auf Befehl der Clevischen Regierung ist dieselbe im Beysein des Inspektors vorgenommen. Die  Regierung hat wohlgetan, Euch aufzugeben, einen zu bestätigen. 4 Jahre hat die Gemeinde nun wegen der  Streitigkeiten einen Prediger entbehren müssen. Binnen 4 Wochen habt Ihr einen zu bestätigen.

Berlin, den 19. Juni 1719. An den General der Kavallerie Freiherr v. Heiden.”

So, da stand wieder einmal klar und deutlich, was er sollte, aber er tat es doch nicht. Aus welchem Grunde nun der König keinen von den drei Gewählten bestätigt hat, geht aus den Akten nicht hervor. Aber in demselben Jahre sandte der König den Feldprediger aus Minden, Johann Ebeling, zum ersten Prediger nach Hünxe, und Dräghorn wurde entlas- sen. Letzteren machte der General nach Kuchelheims Abgang zum Richter und Amtmann. Ob der Freiherr v. Heiden den Johann Ebeling als Pastor bestätigt hat, läßt sich nicht feststellen. Als im Jahre 1722 das Fleckenfieber in Hünxe sehr stark auftrat, wurden auch die beiden Geistlichen bei ihren Krankenbesuchen angesteckt. Overkamp starb Mitte Oktober und Ebeling am 28. Oktober 1722.

Gewählt wurde hierauf zur ersten Stelle der Pfarrer Johann Hermann Trippier. Diesen bestätigte Herr v. Heiden, wie folgt:

Johann Sigismund, Wilhelm Freiherr v. Heiden, Sr. königl. Majestät in Preußen bestale- ter General von der Cavallerie, Gouverneur der Festung Lippstadt und Droste des Amtes Wetter, Herr zu Bruch, Rhade, Crudenburg, Lichtenvoerde, Wildenburg, Schwarzenstein und Oedendahl, thue zu wissen, daß der Pfarrdienst in Hünxe erledigt, mir aber des Herrn Trippier, etzigen Prediger zu Lüttgendortmund, Lebenswandel angerühmt, so wird ihm hiermit der Dienst gnädig conferiret.

Wesel, den 21. Dezember 1722. J. S. W. v. Heiden.”

Das Presbyterium berief ihn  nunmehr also:

Wohlehrwürdiger!

Prediger Ebeling ist am 28. October gestorben und Overkamp hat sich kurz vorher Todes verfahren, so sind wir ganz entblößt. Viele Gemeindeglieder sind mit schweren Krankheiten besuchet, viele auch gestorben. Die Benachbarten können dem Dienste nicht genügen. Ew. Wohlehrwürdiger haben uns vor anderen bei der Predigt Wohlgefallen, und haben wir Sie am 20. d. M. zu unserem ersten Prediger erwehlet. v. Heiden hat die Stelle auch an Euch conferiret. So beruffen wir Euch Joh. Herrn. Trippier zu unserem ersten Prediger.

Hünxe, den 21. December 1722. Publicandum in der Kirche zu Hünxe.”

Gegen diese Vocation durch das Presbyterium von Hünxe hat der Freiherr v. Heiden ein halbes Jahr später   nochmals  seine alleinigen Patronatsrechte  mit   folgendem Schreiben zur Geltung bringen wollen:

Ich habe  vernommen, daß  die Eltesten durch  besonderen,  heimlichen  Vocationsschein ihren Prediger beruffen haben. Das Recht haben meine Vorfahren vom Hause Crudenbürg vor einigen seculi schon besessen, es ist auch durch verschiedene Lehn- und Landes-herren bestätigt; ich habe ja dem Prediger die Vocation ertheilet. Ich annuliere den Vo-cationsschein. Dies soll morgen von der Kanzel verlesen werden.

Schwarzenstein, den 12. Juni 1723. W. v. Heyden.”

 

Alsdann aber hört man von dem Freiherrn v. Heiden nichts mehr. In den Jahren 1735 und 1736 wird ein Obrist-Lieutnant von Grevenitz als Besitzer des Hauses Crudenburg genannt. (Er bekam Crudenburg durch seine Gemahlin Wilhelmine, einzige Tochter von Friedr.  Adolf v.  Heiden. Dieselbe heiratete nach dem Tode des Herrn  v. Grevenitz im Jahre 1749 den Herrn Sigismund, Freiherrn v. Strünckede und nachdem dieser 1749 gestorben war  zum dritten Male, einen reformierten Prediger, Victor Crudenburg. Frau Wilhelmine starb 1783. Krudenburg wurde, da die Freifrau in ihrem Alter viel krank war  und ihr letzter Mann, obwohl zum Kriegsrat ernannt, sie in Standessachen nicht ebenbürtig vertreten konnte, von 1779 bis 1783 durch Herrn von Quadt zu Gartrop als Kurator des Hauses Crudenburg verwaltet. Nach 1783 hat ein Sohn des oben genannten Freiherrn von  Strünckede noch einige Zeit das Gut Crudenburg besessen, aber er fandes schon in derart baufälligem Zustand vor und mußte überdies seine Geschwister noch abfinden, daß er 1787 schon viele Ländereien verkauft hat. Viel Land davon kaufte Peter Benninghoff an.  Kurze Zeit danach scheint v. Strünckede gestorben zu  sein. Das  Gut wurde 1797 verkauft, und Gartrop war der Aufkäufer. 1826 stellte Gartrop einen Verkauf an. Bei dieser Gelegenheit kaufte Albert Benninghoff den ganzen  Schloßplatz bis zum Zingelgraben. Als er 1869 gestorben war  und sein gleichnamiger Sohn das Erbe antrat, waren  die Schloßgebäude  schon   gänzlich verfallen, und  Herr  Albert Benninghoff  ließ daher den Schutt an die Lippeufer fahren.

 

Die vorstehende Erzählung ist zusammengestellt aus Urkunden, die sich teils im Hünxer Kirchenarchiv, teils im Archiv des Hauses Krudenburg auf Schloß Gartrop befinden.

Sie sind von dem Lehrer Wilhelm Gaecks, welcher von 1876 bis 1910 an der Schule in Krudenburg tätig war, in die alte Chronik der Schule eingetragen, um wohl als Beitrag zur Heimatgeschichte allen nachfolgenden Lehrern in Krudenburg zu dienen.

Der Dank für die Überlieferung gebührt dem 1926 in Münster verstorbenen Herrn Lehrer Wilhelm Gaecks.

 

 

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