Gewirke

Wie ein schimmernd seidenes Gewirke                     Heimatkalender 1966
von Erich Bockemühl

Wie ein schimmernd seidenes Gewirke ist der späte herbstende Sommer, in zarten rötlichen Farben gewebt und grün am Rand, ein wenig gelb und blau an den Seiten, und je mehr die Farben unter dem Glanz der Seide zu erblassen scheinen, um so stärker heben sich die eingestickten korallenroten Perlen, die Ebereschenbeeren, aus dem Grün der Bäume ab. Man möchte ausruhend seinen Kopf in die kühle Seide dieses Kissens legen und in den blauen Himmel sehen.

Der blaue Himmel ist ohne eine Wolke und blau bis in die Fernen seiner Horizonte, und, das ahnen wir, weit darüber hinaus. Und er ist blau bis in seine Tiefen, blau, klar und rein — und schön, daß immer noch die Menschen ob seiner Klarheit Wunder träumen, Bilder schauen und — wir vermeinen wohl, daß wir erlöst aus aller Schwere und veränderten und erfüllten Wesens in irgendeinem erträumten und reinen Seelensein an irgendeinem Jenseitsufer landen würden, wenn wir es vermöchten, in die blaue Flut zu tauchen und in ewigen Wirklichkeiten zu erwachen.

Die wir am Hügel liegen im Thymianduft und Grillenzirpen, wollen dennoch immer Menschen bleiben — in dieser Stunde, da uns die Schönheit berührt, da es uns vergönnt ist, mit Bildern zu spielen, da wir den Himmel als die blaue Glocke sehen und da die mittägliche Sonne der Klöppel ist, und indem es vom Dorf aus läutet, daß das All erklingt und leiser wird, fast ganz still, bis nur ein Summen ist, so leise und so zart, als wie von goldnen Saiten und von goldnem Licht. Und dann steht abseits dieses alte Muttergottesbild in einer neuen Schönheit und wachsenden Bedeutung da: Bild der irdischen Schönheit, die wir heiligen, indem alles Irdische, was uns überall umgibt, ein Gleichnis ist, Bild der Schönheit, der schöpferischen mütterlichen Schönheit, die uns das Leben wahrt, das irdische und ewige allzugleich. Die da schreitet hoheitsvoll im blauen Himmelmantel mit gelben Ähren in dem blonden Haar, sie ist die menschgewordene Stille dieser Stunde — und wer es denn auch sei, der nicht sehr fern vorüberschreitet, über den Sandweg, der zwischen grünen Sträuchern und von lila Heidekraut eingefaßt unter ihren Füßen leuchtet, wer durch diese Stille schreitet, erscheint uns wie verwandelt, wird uns in aller Wirklichkeit zum Bild, indem die Stunde selber Bild und reine, holde Schönheit wird.

Nein, es dürfte nicht sein, daß sich nun ein Wind erhöbe. Die Zweige der Eichenbäume hängen still hernieder, und das ganze All ist ohne Bewegung. Wenn sich ein Wind erhöbe, meint man, daß die Zweige und die Blätter zerbrechen würden und auch das blaue Licht, daß es zerklirren würde, und auch der Mond, der wie eine weiße Glasscheibe in der Ferne schwebt. Über dem Land ist ein summendes Ertönen, zitterndes Erklingen im herbsüßen Duft der Heide. Das Summen ist wie glänzende seideschimmernde Musik, in der das helle Rot der Geißblattfrüchte und der Hagebutten in den Rosensträuchern und der Ebereschendolden über den Ginstersträuchern in der Harmonie des leisen Klingens Akkorde einer herben Süße sind. Herbe Süße ist das Leben immer wieder, es ist kein Glück ohne Leid. Je schöner die Reife, um so näher der Tod. Das klingende Singen ist ohnehin verstummt, und es ist allenthalben ein Gewährenlassen, ein Sichtbegeben in das Unvermeidliche, und es ist eine Stärkung unseres stillen Willens, zu ahnen und zu fühlen und zu wissen auch, daß aus jener frommen Hingebung ins Unvermeidliche immer wieder neues Leben wird. Und auch alle Kraft des Kampfes, der noch zu bestehen ist, wurzelt in der Stille, in der Besinnlichkeit des Friedens unserer Seele. Es ist kein Sterben, solange ewig neues Auferstehen ist. Wer am Wegrand in der blühenden Heide sitzt unter dem Baldachin der Geißblattranken mit den roten Beeren und die währende Gegenwärtigkeit der ewigen Kräfte spürt, Kräfte des Verjüngens und Bestehens im Wechsel der Gezeiten, der sieht des Waldes ewig junge Wesen schreiten: Merlin und Iselin — oder wie sie heißen mögen, die Märchengestalten, die aus dem Wald geboren durch unsere Träume gehen.

Iselin im schleierleichten seidegrünen Kleid, die einst ein Reh gewesen ist und mit braunen Waldesaugen von Merlin erweckt wurde zu aufrechtem jungfräulichem Schreiten. Und Blumen blühten, Frühlingssterne leuchteten im Grün des Grases auf, wohin sie auch gingen, und die Nachtigallen sangen auf ihren Wegen in den Büschen. Aus des Waldes braunen Tiefen war einst Merlin erwacht . . . der braune Wandersmann wundersamen Waldesdaseins, und sie schreiten grün und braun, wie Menschen, die sich lieben, eines im anderen bedingt, den hellen Lebenspfad. Jedoch — trägt nicht Iselin den gelben Ährenkranz im blonden Haar? Und, im Sonnenschein — ist nicht ihr grünes Kleid in Blau gewandelt? Schmetterlinge umflattern sie und setzen sich in ihr Haar, auf ihre Hände, und Merlin selber, urväterliches Wesen, sieht hernieder auf die mütterliche Jungfrau, die in des Herbstes Glanz des neuen Lebens Kräfte tief in sich bewahrt . . .

Verschwunden ist der Traum — und auf dem weißen Weg steht immer noch das Reh und schaut mit leicht erhobenem Kopf mit den Augen unbewußten Waldeswesens tief vertrauensvoll zu uns herüber. Hoch in den Lüften schwebt ein großer Vogel unterm weiten Welt-allsbogen. Im goldenen Gesumm der Bienen schweben silberne Fäden … ja, der sommerliche Herbst ist wie ein zartes, seidenes Gewirke, und man möchte wirklich seinen Kopf — du und ich, wir möchten unsere sommermüden Häupter in die kühle Seide legen, und im Gefühl der Kräfte, die sich in der Stille sammeln und bewahren, träumend, — du und ich — in den ewig blauen klaren Himmel schauen.

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