Tod

Der schlafende Tod                                                               Heimatkalender 1969
von Erich Bockemühl

Im Wald ist ein grüner Hügel mit kleinen gelben Blumen im Gras, und daneben am Teich, wo die duftenden Gagelsträucher stehn, blühen Vergißmeinnicht und roter Weiderich. Aus dem Teich fließt ein Bächlein plätschernd über blanke Steine am grünen Moos des Ufers her . . . plaudernd mit dem Zwitschern kleiner Vögel in den Erlenbäumen — und es ist schön, an Sommertagen da zu liegen und der weißen Wolken Fahrt im hellen Blau zu sehen. Im Wald zum Hügel kommt ein Mann gegangen, am Bach vorbei. Leise knistert das trockene Holz im Moos. Warum fliegen die Vögel aus den Bäumen tief in den Wald, warum senken die kleinen Blumen welkend die Köpfchen, warum wird der Himmel grau mit Wolken und des Teiches Spiegel glanzlos, stumpf und dunkel? … Es kommt ein Mann gegangen im großen grauen Mantel, mit großem Hut, der schattet dunkel sein Gesicht, ein grauer Mann, frierend verhüllt im heißen Sommertag, als ob der kalte Herbst mit Stürmen Hagel prasseln wollte übers Land. Es kommt ein dürrer Mann gegangen, klappernden Schrittes und schwer am Stab sich schleppend bis zum Hügel hin: Der Tod, der hunderttausend Meilen müde Tod, und sinkt ins Gras und zieht den Mantel dicht um sich und schläft. Im Dorf aber singen die Kinder in der Schule helle Lieder; und es ist eine Hochzeit im Dorf, die Glocken läuten, die Mädchen haben ihre weißen Kleider angetan und gehen zum Tanz. Ob sich der Himmel grau überzieht? Im Dorf ist frohe Zeit und Lust und Lärmen, da die Kinder aus der Schule laufen, und im Walde, eine halbe Stunde weit, liegt der Tod und schläft.

Ob der Tod weiß, daß drüben hinter den Feldern im kleinen Haus ein Kind geboren ist? Ob das Bilder sind in seinem Traum, der Mutter Weh und Glück? Ob der Tod das weiß, daß gerade in der Wirtschaft eine Sitzung ist. Der Bürgermeister kann sein Urteil sprechen in allen Dingen. Er geht ans Fenster: „Es mag noch Regen geben. Und es wird auch kalt. Doch die im Saal da werden schon nicht frieren in der Nacht.” Der Bürgermeister ist ein lustiger Mann und macht gern einen Witz, daß alle lachen. Der Tod am grünen Hügel in dem Wald in Gras und reifversengten Blüten schläft und schläft in Totenstille, da kein Vogel singt, und die beiden Rehe, die an dem Teich zur Tränke gehen wollen, sehn die Gestalt am Hügel liegen und springen über Farn und grüne Sträucher hin, daß die kleinen Mädchen vor Schreck die grünen Körbchen fallen lassen, daß alle blauen Heidelbeeren auf die Erde rollen. Die Eltern, die beim Kaffee sitzen und süßem Schnaps und lachen, da die Musik spielt: „Schön ist die Jugend, aie kommt nicht mehr!”

Die Kinder sind erschrocken angekommen und haben erzählt: Ein Toter liegt im Wald, der hat knöcherne  Füße und einen grauen Mantel um, und Hut und Stock liegen neben ihm.

Und der Bürgermeister ist dann hingegangen mit zwei Gemeinderäten und dem Polizist. Der hat geflucht über die Kinder, die am hellen Tag Gespenster sehen. Aber es war ein Schreiben aus der Stadt vom Landrat über einen, der verschollen war, und sie wollten grade wieder gehen, da hörten sie ein Rascheln in dem dürren Holz: eine Schlange war dem Tod ins Ohr gekrochen .

Da lag er denn und wendete den Kopf und sah sie grinsend an (der Mond schien grade zwischen den Wolken her auf den bleichen Schädel) und schlief dann wieder ein. Der Bürgermeister aber, der ein schwerer Mann war, sank, als sie atemlos und schwitzend im Dorf im Wirtshaus ankamen, von dem Stuhl und stand vorerst nicht wieder auf . . . Da ward es still im Saal. Die Musik verstummte, die Menschen sahen wie Gespenster bleich, und der Bräutigam faßte seine Braut am Arm, als ob sie ihm entweichen könnte; denn als noch grade einer der Gemeinderäte erzählte von dem Tod im Walde, huschte ein schwarzer Schatten vor den Fenstern her — und nun standen sie alle da: Der Tod ist aufgewacht, der Tod ging durch das Dorf, der Tod ist über Feld, wer hat den Tod gesehen, welchen Weg er ging, wen zu ergreifen . . .? Und keiner wagte einen Schritt zu tun bis in den Morgen — und sie saßen stumm und schaudernd an den langen Tischen.

Drüben im Armutshaus jedoch, da war ein Kind geboren. Sie wußten nichts vom Tod, der wie eine dunkle Wolke hinter dem Walde stand, indes der Vater aus dem kleinen Hause glücklich lächelnd in das friedselige Licht der ewigen Sterne sah.

 

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